Besteuerung von Übergewinnen – Hört nicht auf die Sirenen

Klaus Neusser, 23.08.2022
Rechtssicherheit ist in einer Marktwirtschaft ein wertvolles Gut. Viele wissenschaftliche Untersuchungen konnten nachweisen, dass sie für die Wohlfahrt eines Landes unabdingbar ist. Sie sollte daher nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Die derzeit laufende Diskussion über die Besteuerung von sogenannten Übergewinnen der Energiewirtschaft birgt alle Voraussetzungen, um langfristig Schaden anzurichten.
Der Einführung einer solchen, wie auch immer ausgestalteten, Steuer stehen gewichtige ökonomische Argumente entgegen. Vorerst sollte festgehalten werden, dass Gewinne von Kapitalgesellschaften der Körperschaftssteuer (KÖST, derzeit 25 Prozent) unterliegen, wobei bei Entnahme der Gewinne zusätzlich die Kapitalertragssteuer (KEST, derzeit 27.5 Prozent) anfällt. Außerdem befinden sich die entsprechenden heimischen Gesellschaften ganz, oder zumindest über namhafte Beteiligungen, im Besitz der öffentlichen Hand.
Begründet wird eine Besteuerung durch ein moralisches Argument. So sei die Energiewirtschaft ein Profiteur des Angriffskrieges gegen die Ukraine und hätte selbst nichts zu den Gewinnen beigetragen, die ihr lediglich als „windfall profit“ in den Schoss gefallen seien. Deshalb sei es legitim, diese „unverdienten Gewinne“ abzuschöpfen oder zu besteuern. Diese Argumentation verkennt die Bedeutung von Gewinnen und Preisen in einer Marktwirtschaft. So sind hohe Gewinne ein Zeichen von Knappheit und bieten für die Unternehmungen einen starken Anreiz, dieses Geschäftsfeld auszubauen und Vorsorge für Angebotsengpässe zu treffen. Zudem veranlasst es andere Unternehmungen, in diesen Markt einzusteigen. Dadurch beginnen die Preise und Gewinne zu sinken. Die Besteuerung von Gewinnen, sofern diese auf legale Weise erzielt worden sind, kann nicht von den Motiven oder Beweggründen der Unternehmungen abhängen. Auch nicht davon, wie viel man selbst dazu beigetragen hat.
Die Besteuerung von Gewinnen, sofern diese auf legale Weise erzielt worden sind, kann nicht von den Motiven oder Beweggründen der Unternehmungen abhängen. Auch nicht davon, wie viel man selbst dazu beigetragen hat.
Letztlich stellt sich die Frage, ob es bei der Besteuerung von Übergewinnen in der Energiewirtschaft bleibt, oder ob nicht auch andere Sektoren einbezogen werden sollten. Haben nicht auch andere Sektoren profitiert? Eine solche Sicht öffnet der Willkür Tür und Tor. Schließlich sollten alle Unternehmungen gleichbehandelt werden und derselben Steuergesetzgebung unterliegen.
Es mag von einem fiskalischen Standpunkt aus attraktiv erscheinen, die Unternehmungen durch eine zusätzliche Übergewinnsteuer zu überraschen. Doch allein schon die Diskussion darüber erhöht die Unsicherheit über die Steuergesetzgebung und führt zu einem Überdenken von Investitionsentscheidungen oder gar zu einer Investitionsabstinenz. Sicherlich werden ausländische Investoren von solchen Überlegungen abgeschreckt.
Seit der Unterzeichnung des Pariser Klimaabkommens 2015 haben die Energiekonzerne ihre Investitionen in Öl und Gas weltweit um mehr als zwei Drittel zurückgefahren und somit zur Preissteigerung schon vor dem Ukrainekrieg beigetragen. Sie jetzt dafür zu besteuern, wird in der ökonomischen Literatur unter dem Stichwort „Zeitinkonsistenz der Wirtschaftspolitik“ abgehandelt. Die Quintessenz dieser Analysen ist: Die Zeitinkonsistenz führt langfristig zu einem Rückgang der Investitionstätigkeit, da Investoren die Möglichkeit einer zusätzlichen Besteuerung in Betracht ziehen.
Das Problem der Zeitinkonsistenz spielt gerade im Bereich der Energiewirtschaft eine ganz wichtige Rolle. Investitionen in diesem Bereich haben einen äußerst langen Zeithorizont, der meist über zehn Jahre liegt. Rechtssicherheit ist bei so langfristigen Investitionen daher besonders wichtig. Auch sollte man in diesem Zusammenhang bedenken, dass gerade die angestrebte Energiewende, einen hohen Investitionsbedarf, der auch durch ausländische Investoren finanziert werden muss, generiert.
Letztlich muss festgehalten werden, dass die praktische Umsetzung einer solchen Besteuerung einige steuertechnische Probleme mit sich bringt. Wie grenzt man einen Übergewinn von einem normalen Gewinn ab? Der Rückgriff auf Gewinne in der Vergangenheit als Richtgröße ist arbiträr und wird dem einzelnen Unternehmen nicht gerecht. Die Jahresbilanzen der Gesellschaften werden frühestens Mitte nächsten Jahres vorliegen. Somit besteht der Anreiz, die Bilanzen entsprechend zu gestalten. Das von mancher Seite prognostizierte Steueraufkommen scheint unter diesem Aspekt zu optimistisch zu sein.
Wegen all dieser ökonomischen Argumente wäre es ratsam, dem Lockruf der Sirenen zu widerstehen und auf eine Besteuerung der sogenannten Übergewinne zu verzichten. Gerade dies wäre ein starkes Signal und würde den Wirtschaftsstandort Österreich stärken.
Der Ökonom Klaus Neusser lehrte und forschte als Ordinarius an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt und der Universität Bern, Schweiz. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Makroökonomie und Ökonometrie, insbesondere ist er Experte für moderne Prognosemethoden. Seit Mai 2022 leitet er das Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien.