Der Nutzen des Wertemanagements
Gabriele Faber-Wiener, 11.01.2023
Hinter jeder Management-Entscheidung steht ein Werturteil. Darum sind klare ethische Prinzipien und Unternehmenswerte und deren Umsetzung im täglichen Business von zentraler Bedeutung – nicht nur, aber vor allem auch für die Unternehmen im Portfolio der ÖBAG.
Unternehmen stehen vor immensen Herausforderungen. Kurzfristige Krisenbewältigung und langfristige Zukunftssicherung zu verbinden bedeutet, auch Nachhaltigkeit neu zu denken. Praktisch jedes Unternehmen ist von den Auswirkungen des Green Deal der EU betroffen. Der Ansatz derzeit: ESG- oder Compliance-Programme. Diese haben sich akademisch, praktisch und auch von der öffentlichen Wahrnehmung her durchgesetzt –an den vielen Nachhaltigkeitsberichten, Publikationen, Preisen und Standards wird dies besonders deutlich. Andererseits wird der Unmut in Unternehmen nicht geringer. Denn das Thema Nachhaltigkeit wird oft primär technisch und organisatorisch abgehandelt: Eigene Managementsysteme werden eingeführt, Zahlen systematisch erfasst, Verantwortungen quer durch alle Funktionen vergeben, Stakeholder informiert. Doch damit sind wir in der reinen Umsetzung. Und Umsetzung allein führt nicht zum Umdenken. Vielmehr geht es um ein gemeinsames Verständnis der Zusammenhänge. Das heißt, ökologische, technologische, ökonomische und kulturelle Umbruchsprozesse müssen in ihrem Zusammenspiel verstanden werden. Erst dann wird Transformation möglich. Die Lösung liegt auf der Hand: Man muss weiter oben ansetzen, nämlich bei der Führung und der Auseinandersetzung mit den großen Fragen der Zukunft – und bei den Werten.
Werte: Fundament und Orientierungsrahmen zugleich
Werte sind die Grundfesten jeder Organisation, sie sind der Klebstoff, der Unternehmen zusammenhält. Werte geben nach innen Orientierung und helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Nach außen bilden Werte die Grundlage für Unternehmens- und Organisations-Profile und prägen Alleinstellungsmerkmale. Im Unternehmens- bzw. Organisationskontext sind zwei Arten von Werten relevant: intrinsische Werte, das heißt ethische Werte und Prinzipien wie beispielsweise Fairness oder Verantwortung, sowie extrinsische Werte, also Leistungswerte wie zum Beispiel Qualität oder Kundenbindung. Letztere brauchen intrinsische Werte als Basis, sonst werden sie als hohl und oberflächlich betrachtet (siehe dazu nachfolgende Grafik).
Auch im Umgang mit Werten ist eine Hierarchie vorhanden: Die intrinsischen Werte beziehungsweise ethischen Prinzipien stehen dabei an oberster Stelle. Sie sind der Ursprung und die letzte Begründung. Darunter stehen operationale, strategische Werte, die im Idealfall diskursiv entwickelt werden und ebenfalls verbindlich sind. Wiederum eine Ebene darunter, auf der Handlungsebene, stehen zuerst Grundsätze, von denen sich Normen und Regeln ableiten, die dann im Idealfall in Instrumente gegossen werden. (siehe dazu nachfolgende Grafik).
Die Hierarchie zeigt sehr klar, dass Normen und Regeln ohne klare Prinzipien fragil sind, da der Ursprung und somit die Begründung für die Norm fehlt. Gut gemachte Ethikkodizes sind nach dieser Hierarchie aufgebaut und dienen als Handlungsanleitung für Organisationen und ihre Mitarbeiter:innen.
Allein aus dieser Darstellung ist ersichtlich, dass ein bewusster, systematischer und strategischer Umgang mit Werten fundamentale Wirkung für Organisationen entfalten kann, da er solide und damit krisenfest macht und das Vertrauen der Stakeholder stärkt. Gleichzeitig wird deutlich, dass eine Auseinandersetzung mit den Grundfesten, das heißt mit den ethischen Prinzipien zu beginnen hat und nicht erst auf der Ebene der Normen und Regeln, denn nur das ermöglicht den betroffenen Stakeholdern, die Gründe für Entscheidungen zu erkennen und nachzuvollziehen.
Kernstück im Wertemanagement: Werte Due Diligence
Der Schlüssel dafür ist ein fundiertes Wertemanagement, das über rein marketingorientierte Werteprozesse hinausgeht. Dabei werden Werte nicht nur diskutiert und formuliert, sondern einer kritischen Analyse und einer Werte Due Diligence unterworfen. Dabei werden essenzielle Fragestellungen aufgeworfen, wie unter anderem die Frage, welche Werte proklamiert werden und welche Werte wirklich praktiziert werden; ob und wie Unternehmenswerte umgesetzt werden, ob danach entschieden und gehandelt wird und vor allem, ob die vorhandenen, aber auch die geplanten Prozesse und Maßnahmen mit den proklamierten Werten korrelieren, oder ob es nicht eine Reihe von versteckten Hürden (beispielsweise konträre Incentives) gibt, die diesen Werten im Weg stehen.
Das Center for Responsible Management hat dafür eine eigene Methodik, die „Werte-Management-Matrix“ entwickelt. Diese beginnt mit der Auseinandersetzung der Bedeutung des jeweiligen Kernwerts, und zwar sowohl auf der grundsätzlichen als auch auf der individuellen Ebene, analysiert, was es an Prozessen benötigt, um diesem Wert gerecht zu werden, eruiert in einem Dialog, was der jeweilige Wert für die jeweiligen Stakeholder bedeutet und welche Instrumente dafür notwendig beziehungsweise nicht notwendig, also kontraproduktiv sind. Das Ergebnis eines derart solide aufgebauten Wertemanagements ist nicht nur die Stärkung von Glaubwürdigkeit und Vertrauen aufgrund des interaktiven Prozesses, es macht auch nach Innen solide, da es Begründungen und Positionen schafft. Nach außen reduziert es Reputations- und andere Risiken und steigert letztlich sowohl Effektivität wie auch Effizienz von Entscheidungen und deren Umsetzungsfähigkeit. Wertemanagement ist somit etwas sehr Kraftvolles. Im Gegensatz zum ESG-Denken, das rein an den Prozessen ansetzt, setzt es an den Menschen an. Damit ermöglicht es das, was Werte in einem Unternehmen sein sollen: Fundament und Klebstoff nach Innen und die Basis für Vertrauen nach außen. Und genau das ist es, was Unternehmen zukunftsfähig macht.
Gabriele Faber-Wiener leitet das Center for Responsible Management berät Unternehmen puncto Wertemanagement und Transformation und unterrichtet an vielen Universitäten und Fachhochschulen. Zudem ist sie Juryvorsitzende des TRIGOS.