Transformation der Bauwirtschaft in ein Kreislaufmodell

Sonja Zumpfe, 09.02.2023
Das lineare Wirtschaftsmodell „Take-Make-Waste“ ist nicht mehr zukunftstauglich und soll auch in der Bauwirtschaft in ein Kreislaufmodell transformiert werden. Der Startschuss dazu ist mit dem Green Deal der Europäischen Union bereits gefallen und durch die EU-Taxonomie wurde Kreislauffähigkeit zum Kriterium bei Finanzprodukten und der Bewertung von Immobilien. So ist laut der EU-Abfallrichtlinie das Abfallaufkommen bei Bau- und Abbruchprozessen zu reduzieren, Baumaterialien und -elemente schadstofffrei zu halten und mindestens 70% der Abriss- und Baustellenabfälle wiederzuverwenden bzw. zu verwerten. In Österreich hat die Regierung ihrerseits eine Kreislaufwirtschaftsstrategie auf den Weg gebracht.
Angesichts der nationalen und internationalen Anforderungen, schwindender Ressourcen, der durch Produktion emittierten Treibhausgase, durchbrochener Lieferketten und steigender Preise ist die Aufbereitung eines kreislauffähigen Marktes zur Erhaltung, Wiederverwendung und Verwertung von Gebäuden zu einem wesentlichen Ziel geworden. Das alles gilt es, mit dem wachsenden Bedarf an Wohnraum und dem daraus resultierenden zunehmenden Rohstoffbedarf im Gebäudesektor in Einklang zu bringen. Laut dem jüngsten Global Resources Outlook ist der Impact immens: 50 Prozent der Klimaemissionen sowie 90 Prozent des Biodiversitätsverlusts und der Wasserknappheit werden auf den generellen Förderung und Verarbeitung von Ressourcen zurückgeführt. Dazu kommt, dass bei Beibehaltung des bisherigen Modells, der Materialbedarf aus Primärrohstoffen in Zukunft nicht mehr vollständig gedeckt werden kann, da erneuerbare Materialien vor allem Zeit zum Nachwachsen benötigen und sich das Vorkommen nicht regenerativer Ressourcen wie Gesteine (Sand, Kies) oder Metalle erschöpfen wird. Der Blick auf den Erhalt von Gebäuden, die Steigerung der Ressourceneffizienz und die Gewinnung und Weiterverarbeitung der enthaltenen Materialien lohnt sich daher mehrfach.
Materiallager in Österreichs Gebäuden: +250 Tonnen pro EinwohnerIn
Allein das Materiallager in Österreichs Gebäuden beträgt aktuell über 250 Tonnen pro EinwohnerIn und wächst derzeit um etwa 9 Tonnen pro EinwohnerIn und Jahr1. Dazu kommt, dass die Bauwirtschaft noch immer zu den größten Ressourcenkonsumenten gehört und für fast 75 Prozent des Abfallaufkommens verantwortlich ist – Abfall, der ein hohes Potential an Wertstoffen birgt. Um vom bisherigen linearen Modell zu einer zirkulären Bauwirtschaft zu gelangen, braucht es das Zusammenwirken aller Marktteilnehmer: der Bauwirtschaft, den Herstellern, Planenden, Zertifizierenden, der Abfallwirtschaft und dem Ressourcenmanagement. Diese bringt BauKarussell, der Pionier Österreichs für Social Urban Mining, nun zusammen. Es wird wortwörtlich zum Karussell, der an der Kreislaufwirtschaft beteiligten Unternehmen. Ab Juni 2023 gibt es zudem für Unternehmen die Möglichkeit, sich an der neuen BauKarussell Genossenschaft direkt zu beteiligen und so den Übergang zur zirkulären Bauwirtschaft mitzugestalten.
Sechs Schritte-Modell für eine zirkuläre Bauwirtschaft
- Bestands- und Materialerhaltung: Der größte Hebel liegt in der Abfallvermeidung durch Substanzerhaltung und in der Ausschöpfung vorhandener Potenziale von Gebäuden.
- Rückbauorientierte Planung: Geeignete Planung ermöglicht es, dass Gebäude in gleicher Qualität erhalten, wiedergenutzt oder ressourcenschonend rückgebaut werden können. Das bedeutet zerlegbar und mit schadstofffreien, langlebigen und nachnutzbaren Baustoffen oder Bauteilen, die sich sortenrein trennen lassen oder rezyklierbar dem Wertstoffkreislauf auch nach Nutzung zur Verfügung stehen.
- Vernetzung von zirkulären Prozessen: Um einen grundlegenden Wandel in der Baupraxis zu erreichen, müssen alle Beteiligten in Baustoffherstellung, Planung, Erstellung, Betrieb, Rückbau von Bauwerken und normgerechten Wiedereinbau zusammengebracht und in der Prozessentwicklung unterstützt werden.
- Social Urban Mining: Bauteile, Bauelemente und Baumaterialien, die in Gebäuden gelagert sind, sollten am Ende ihrer Nutzungsdauer wiedergewonnen werden; Kooperationen mit Arbeitskräften des Sekundär-Arbeitsmarktes sind vorbildlich.
- Gemeinsamer Marktplatz: Zur Entwicklung einer Kontinuität für den Sekundär-Baustoffmarkt der den Bedarf für Einzelprojekte, aber auch für langfristig großvolumig geplante Projekte deckt und sie planbar macht.
- Innovation fördern: Das technische Niveau muss auch über die Grenzen hinaus verbessert und weiterentwickelt werden. Durch die Vernetzung und Beteiligung an Forschungsprojekten wird Innovation vorangetrieben
Wie in der Bauwirtschaft der Kreislauf-Gedanke in Schwung gebracht werden kann, das zeigen Success Stories wie der MedUni Campus Mariannengasse, wo Anfang Jänner 2023 der Grundstein gelegt wurde. Die MedUni Wien ist eine der traditionsreichsten medizinischen Ausbildungs- und Forschungsstätten Europas. Mit rund 8.000 Studierenden ist sie heute die größte medizinische Ausbildungsstätte im deutschsprachigen Raum. Im Rahmen des Großbauprojektes, das unter der Leitung des ÖBAG-Portfoliounternehmens der Bundesimmobiliengesellschaft geleitet wird, wurde 2019 eine intensive verwertungsorientierte Rückbauphase gestartet
BIG und BauKarussell haben gemeinsam zahlreiche Maßnahmen durchgeführt und in Summe 81.170 kg Material sortenrein getrennt und für die weitere Verwertung oder die Entfrachtung vorbereitet, darunter etwa Leuchtstoffröhren, Zwischendecken sowie diverse Fraktionen Buntmetalle. Das Gebäude barg auch wahre Schätze an Re-Use-Waren: 60.400 kg wiederverwendbare Bauteile und Gegenstände – von Schwerlastregalen über Treppenhandläufe bis zu Vintage-Uhren – wurden von BauKarussell über einen Bauteilkatalog vermittelt und in neuen Projekten zum Einsatz gebracht. So fanden etwa hundert Jahre alte Paternosterkabinen ihren Weg ins Wiener Aufzugmuseum, das Wiener Start-up „Lenkerbande“ richtete eine DIY-Fahrradreparaturwerkstatt ausschließlich mit Bauteilen aus dem Objekt ein. Das Projekt erzählt somit viele Geschichten einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft.
ESG-Expertin Sonja Zumpfe hat sich auf Strategien und Umsetzungspläne einer zirkulären Bauwirtschaft spezialisiert. Als Mitglied des Vorstands von BauKarussell ist sie aktuell für die Expansion und Weiterentwicklung des Unternehmens verantwortlich.