Wo steht der Wirtschaftsstandort Österreich?

Michael Peneder, 21.03.2022
Wettbewerbsfähigkeit bedeutet, gesamtwirtschaftlich gesehen, die Fähigkeit eines Wirtschaftsstandortes nachhaltig hohe Realeinkommen zu erwirtschaften und die sozialen und ökologischen Lebensverhältnisse unter fortlaufender Veränderung und Gestaltung dieser Rahmenbedingungen zu verbessern (siehe dazu u.a. WIFO Themenplattform „Wettbewerbsfähigkeit„).
In der Forschungspraxis fasst der Begriff unterschiedliche Befunde zu den Stärken und Schwächen eines Standortes zusammen. Indikatoren zu den Ergebnissen und zu den Bestimmungsfaktoren der Wettbewerbsfähigkeit bilden wichtige Messlatten für den Erfolg der Wirtschaftspolitik und verweisen zugleich auf notwendige Reformen. Wettbewerbsfähigkeit umfasst somit eine Vielzahl von unterschiedlichen Dimensionen. Entsprechend vielfältig und teilweise ambivalent können die empirischen Befunde sein. Obwohl es für die öffentliche Diskussion verlockend wäre, diese in einem einzigen Indikator (z.B. einem Index der Wettbewerbsfähigkeit) zusammenzufassen, gingen dadurch viele Informationen verloren, die für die Wirtschaftspolitik ebenso von Bedeutung sind wie für die am Standort operierenden Unternehmen.
Radar der Wettbewerbsfähigkeit
Mit dem Ziel, einer einfachen und übersichtlichen Darstellung, sowie eines ausreichenden Detaillierungsgrades, hat das WIFO ein mehrdimensionales Indikatorensystem – das WIFO-Radar der Wettbewerbsfähigkeit – entwickelt.

Die Ergebnisse werden als Prozentränge dargestellt. Diese entsprechen, je Indikator, dem auf 100 Prozent normierten Rang Österreichs im Vergleich zu rund 30 europäischen Vergleichsländern (der Prozentrang erlaubt eine einheitliche Darstellung auch bei unterschiedlicher Anzahl der beobachtbaren Länder je Indikator).
Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:
- Im Durchschnitt über alle 24 Indikatoren wiesen im jeweils letztverfügbaren Jahr (meist 2020 oder 2019) 66,5 Prozent der europäischen Vergleichsländer gleiche oder ungünstigere Werte auf als Österreich. Österreich lag somit knapp hinter dem oberen Drittel der Länder. Drei Jahre davor war der mittlere Prozentrang mit 64,9 noch niedriger gewesen, zehn Jahre davor mit 70,1 Prozent jedoch deutlich höher.
- Mit einem mittleren Prozentrang von 79,6 schnitt Österreich in der Dimension reale Einkommen, Produktivität und regionale Verteilung am besten ab. Verantwortlich dafür sind vor allem das vergleichsweise hohe Bruttoregionalprodukt pro Kopf in den industriell bzw. ländlich geprägten Nicht-Metropolregionen (Prozentrang 96,2) und der relativ geringe Rückgang der Multifaktorproduktivität in der COVID-19-Krise, der in Österreich durch zahlreiche staatliche Hilfsmaßnahmen erfolgreich gedämpft wurde.
- Im Durchschnitt der Indikatoren zum Arbeitsmarkt und den sozialen Lebensverhältnissen gehörte Österreich mit einem Prozentrang von 56,8 nur zum Mittelfeld der Vergleichsländer. Dieser Wert wurde vor allem durch die niedrige Beschäftigungsquote in Vollzeitäquivalenten und dem relativ großen Gender-Gap der Beschäftigungsquote gedrückt. Nur bei zwei Indikatoren der Dimension Arbeitsmarkt und soziale Lebensverhältnisse gehörte Österreich zum oberen Drittel der europäischen Vergleichsländer: einerseits beim Anteil junger Menschen, die sich nicht in Ausbildung, Beschäftigung oder Schulung befinden (NEET-Quote) und andererseits bei der Weiterbildung.
- Der mittlere Prozentrang in den Indikatoren zum Einsatz natürlicher Ressourcen betrug für Österreich 62,3. Relativ schwach schnitt Österreich bei der Energieintensität und den Umwelttechnologiepatenten ab, relativ gut dagegen – wie schon im Vorjahr – beim Anteil erneuerbarer Energieträger und beim Modal-Split im Gütertransport.
- Im Außenhandel gehörte Österreich mit einem durchschnittlichen Prozentrang von 68,4 zum oberen Drittel der Vergleichsländer. Bezüglich des Leistungsbilanzsaldos konnte sich Österreich trotz des rückläufigen Außenhandelsüberschusses um einen Rang verbessern. Gemessen am Marktanteil an den Tourismusexporten blieb Österreichs Position mit einem Prozentrang von 83,9 stabil. Der Marktanteil an den weltweiten Warenexporten verschlechterte sich dagegen relativ zu den Vergleichsländern (Prozentrang 64,5). Die Analyse der preislichen Wettbewerbsfähigkeit anhand der Entwicklung des real-effektiven Wechselkursindex zeigt eine im langjährigen Vergleich konstante Position Österreichs.
Das WIFO-Radar beruht auf den amtlichen Daten der nationalen Statistischen Institute. Ergänzend dazu führt das WIFO in Kooperation mit dem in Genf ansässigen World Economic Forum jährliche Umfragen unter Führungskräften von in Österreich tätigen Unternehmen durch. Auch hier zeigt sich insgesamt ein weitgehend positives Bild der Standortqualität, wobei Österreich aber oft hinter den besten Ländern zurückliegt. So liegt zum Beispiel die subjektive Einschätzung der Führungskräfte in Bezug auf die Qualität des Managements im jeweiligen Land beständig hinter dem Durchschnitt einer Gruppe von kleinen offenen Volkswirtschaften zurück. Gemeint ist hier die Gruppe BENESCAND, die neben Belgien und den Niederlande auch die skandinavischen EU-Länder Dänemark, Schweden und Finnland umfasst. Die anderen Vergleichsregionen sind DACHIT (Deutschland, Österreich, Schweiz und Italien) und MOEL5 (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn und Slowenien).

Die besten Bewertungen vergeben österreichische Führungskräfte in Bezug auf Fragen zur „Professionalität in Führungspositionen“ und die „Kultur der offenen Zusammenarbeit“, gefolgt von der Bereitschaft zur „Delegation von Verantwortung, F&E-Kooperationen“ mit Hochschulen und anderen Unternehmen. Am schlechtesten bewertet werden die räumliche „Mobilität der Beschäftigten“, um berufliche Chancen zu nutzen, sowie die Bereitschaft, „unternehmerische Risiken“ einzugehen und „dynamische Geschäftsmodelle“ umzusetzen.
Nicht nur in der Politik, sondern auch in den Unternehmen selbst gibt es also noch genügend Verbesserungspotenzial und viel zu tun, um den Anschluss an die europäische Spitze zu finden. Die Österreichische Beteiligungs AG (ÖBAG) kann mit ihren staatlichen Beteiligungen im Gesamtwert von fast 35 Milliarden Euro einen großen Beitrag dazu leisten und damit neben der Wertsteigerung ihres Portfolios auch den Wirtschaftsstandort Österreich aktiv stärken.
Editorischer Hinweis: Der Artikel wurde vor dem Kriegsausbruch in der Ukraine verfasst. Der WIFO-Konjunkturbericht für März 2022 attestiert, dass vor diesem in allen Branchen Zuversicht herrschte und die Wirtschaftsleistung in Österreich im Februar erneut über dem Vorkrisenniveau lag.
Literaturhinweise: Peneder, M., Bittschi, B., Köppl, A., Mayerhofer, P., Url, T. (2021). Das WIFO-Radar der Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft 2021. WIFO-Monatsberichte 94 (12), 869-881. Peneder, M., Charos, A., Schmidt-Padickakudy, N. (2022). Österreichs Standortqualität im „Executive Opinion Survey“ 2021 des WEF. „WIFO Research Brief“ (erscheint demnächst).
Michael Peneder ist Ökonom und seit 1992 im WIFO-Forschungsbereich „Industrieökonomie, Innovation und Internationaler Wettbewerb“ tätig. Seine Forschungstätigkeit führte ihn u. a. an die internationalen Universitäten Harvard und Stanford. Er ist Autor von „Schumpeter’s Venture Money“ (Oxford University Press, 2021). Zuletzt erschien in den ÖBAG-Perspektiven Michael Peneders Artikel „Der Staat als Ankeraktionär“.