2023: Vier ESG-Schwerpunkte für eine nachhaltige und prosperierende Zukunft

Kerstin Hosa, 19.01.2023
Der Start in ein neues Jahr wird mitunter begleitet vom Blick zurück: Wir schauen uns an, was gut lief und fragen uns, wo und wie wir noch besser werden können. Ohne Zweifel, das Jahr 2022 wird als jenes der multiplen Krisen in die Geschichte eingehen: die Folgen der Corona-Pandemie, der Ukraine-Krieg, die Klimakrise. Wie gelingt es, in Zeiten wie diesen zuversichtlich zu bleiben? Verbesserungen erfordern einen realistischen Blick auf das, was ist und die Gefahren, die uns drohen. Realistisch ist es aber genauso, auf die Potenziale des Guten zu setzen. Denn sie sind es, die uns im Kleinen wie Großen trotz multipler Krisen zuversichtlich stimmen können.
Nachhaltigkeit als Innovationstreiber
ESG-Ziele zu erreichen, erweist sich für viele Unternehmen nach wie vor als Herausforderung. Schwierigkeiten in der Umsetzung bereiten laut dem FTI-Resilience-Report die Themen Lieferkette, Diversität und Purpose. In Deutschland gaben die Hälfte der befragten Unternehmen an bereits an nachhaltigen Lösungen zu arbeiten, 36% aber reagieren noch abwartend. Dabei habe der Ukraine-Krieg laut den Studienautoren eine katalysierende Wirkung: So werden ESG-Ziele von den Unternehmen nicht mehr primär als Regulationen oder finanzielles Risiko betrachtet, sondern als fundamentale Notwendigkeit und als Chance. *
Ausgehend von externen wie internen Analysen, als auch den regulatorischen Vorgaben durch die Europäische Union, werden im folgenden vier Schwerpunkte für ein zukunftsfähiges ESG-Vorgehensmodell skizziert:
Vier Schwerpunkte für ein zukunftsfähiges ESG-Vorgehensmodell
1) Lieferketten in den Mittelpunkt der Betrachtung rücken
Hinter dem sperrigen Namen „Corporate Sustainability Due Diligance Directive” (kurz CSDD) verbirgt sich das EU-Lieferkettengesetz. Mit dem Vorschlag will die Europäische Union regeln, wie globale Lieferketten sozial gerecht organisiert werden können: Kinderarbeit, Menschenrechte, Umweltrisiken – all das soll in dem Gesetz berücksichtigt werden. Bereits Ende Dezember 2022 wurde der Vorschlag des EU-Rats von den Mitgliedsstaaten mit einer Mehrheit angenommen und dem Europäischen Parlament zugewiesen. Dieses muss sich nun auf einen Standpunkt einigen, der bis zum Mai 2023 vorliegen soll. Laut aktuellem Entwurf wird die Richtlinie Roadmaps, Planungen, Gap- und Risikoanalysen sowie Umsetzungspläne einfordern. Das bedeutet, dass Unternehmen neben der Ermittlung von tatsächlichen oder etwaigen negativen Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt, künftig verpflichtet sein werden, geeigneten Maßnahmen vorzulegen, wie diese negativen Auswirkungen zu verhindern sind und wie die Kontrolle und Überwachung der Wirksamkeit der Maßnahmen bewerkstelligt werden soll. Darüber hinaus sollen künftig auch Aufsichtsräte verpflichtet werden, auf die Einhaltung der Sorgfaltspflichten zu achten und entsprechende Auskünfte vom Management einholen.
2) Transparenz und international ausgerichtete Reporting-Standards umsetzen
Mit den neuen Vorgaben der EU zur Umsetzung des Green Deal werden auch umfassende Standards hinsichtlich Transparenz (Berichterstattung) und der Eindämmung von „Green Washing“ (Konsumentenschutz) gesetzt. Mit der CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) werden ab dem 1. Jänner 2024 konkrete, ambitionierte Zielsetzungen, Kennzahlen und Fakten in der nichtfinanziellen Berichterstattung verlangt. Damit werden die Rahmenbedingungen für Umwelt- und Klimaschutz, aber auch für gesellschaftliche Verantwortung neu definiert Der Richtlinienentwurf sieht nicht nur eine Prüfpflicht vor, sondern kündigt auch die Entwicklung europäischer Sustainability Reporting Standards an, nach denen die Berichterstattung künftig erfolgen soll. Diese wird die bestehende Non-Financial Reporting Directive (NFRD) ersetzen. Das alles soll die Rechenschaftspflicht der Unternehmen erhöhen, divergierende Nachhaltigkeitsstandards verhindern und den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft erleichtern. Damit sollen Investoren und andere Interessenträger künftig besser in der Lage sein, fundierte Entscheidungen in Nachhaltigkeitsfragen zu treffen. Die vielen regulatorischen Vorgaben definieren künftig umfassend den ESG-Handlungsrahmen. Der Impetus darin: ESG als Erfolgsfaktor und als Innovationstreiber zu etablieren. Der Green Deal und die damit einhergehenden Transformationen können auch als Standortvorteil gelesen werden. (Siehe dazu das Amtsblatt der EU, Richtlinie CSRD)
3) Sustainable Leadership und Nachhaltigkeit als Teil der Teamkultur etablieren
ESG verändert die Rolle von CEOs und EntscheidungsträgerInnen in Unternehmen langfristig. Viele Unternehmen dynamisieren aktuell ihr Vorgehen in ESG-Themen – auch in Führungsgremien. Im ÖBAG Portfolio ist ESG nun systematisch dem Vorstand direkt zugeordnet, was sich auch in den Vergütungszielen widerspiegelt. Damit zählen die ÖBAG-Unternehmen zu guten Vorbildern. Denn im Vergleich dazu fühlen sich international gesehen viele Führungskräfte nicht optimal auf die komplexen Anforderungen im ESG-Feld vorbereitet. Das belegt eine Studie des UN-Global-Compact: 65% der befragten Führungskräfte gaben an, dass sie neue Netto-Null-Geschäftsmodelle und -Lösungen vorantreiben, aber nur 16% der befragten CEOs gaben an, dass ihr Entwicklungsstand bereits heute fortgeschritten sei (im Rahmen der Studie wurden 1:1 Interviews mit mehr als 100 Top-Managern sowie eine Umfrage unter mehr als 1.230 CEOs aus 113 Ländern und 21 Branchen durchgeführt).
Selbstverständlich kann ESG nicht die alleinige Verantwortung von CEOs sein, sondern betrifft alle Bereiche des Unternehmens. Um einen größtmöglichen Impact zu erreichen, sind möglichst breite Teile der Mitarbeitenden zu ermutigen, Nachhaltigkeits-Aspekte konsequent zu diskutieren und mit Überzeugung und Offenheit in allen Ebenen zu initiieren.

4) Biodiversität und Schutz des Ökosystems als Schwerpunkt erkennen
Biodiversität ist eines der ESG-Themen, die aktuell in vielen Unternehmen aus einer intrinsischen Motivation vorangetrieben werden. Konkrete KPIs oder gar gesetzliche Vorgaben zur Erfassung von Biodiversität sind aktuell erst im Entstehen. Doch das wird sich rasch ändern. Weltweit steht unser Ökosystem unter Druck und auch Investoren rücken Biodiversität zunehmend in das Blickfeld. Zumal der Verlust unserer Biodiversität mit erheblichen Kosten verbunden ist: durch die technische Brille der Ökonomie betrachtet, werden weltweit drei Viertel aller Nutzpflanzen von Insekten bestäubt, diese übernehmen damit eine Leistung im Wert von 1 Billionen US-Dollar pro Jahr; insgesamt hängen 55% der weltweiten Wirtschaftsleistung von einem funktionierenden Ökosystem und den damit verbundenen Ökosystemdienstleistungen ab.
Aktuell sind bereits zahlreiche Rahmenwerke und Standards bereits in Ausarbeitung: SBTN (Science Based Targets for Nature) will in Kürze ganzheitliche Targets vorlegen, die für Unternehmen eine entscheidende Grundlage für Biodiversitätsziele bilden könnten. Aber auch die Global Reporting Initiative (GRI) arbeitet gerade an Anforderungen zur Berichterstattung von Biodiversität. Diese können im Übrigen noch bis zum 28. Februar 2023 öffentlich kommentiert werden.
Am I the future or the history?
Egal wohin wir blicken: unserer Lebensbereiche befinden sich in Transformation. Wo die Reise genau hingehen wird, das wissen wir nicht. Was wir jedoch aus der Vergangenheit für die Gegenwart ableiten können: Falsche Kompromisse und zögerliches Handeln werden zumindest bei der Klimakrise keine Trendumkehr einleiten. Noch haben wir Zeit, der Tipping point ist noch nicht erreicht. Die positive Nachricht zum Schluss: noch nie hatten wir so viel verfügbares Wissen und Werkzeuge zur Verfügung, um die Zukunft positiv zu gestalten. Worauf also warten? „What in the world are we going to do? Look at what everybody’s going through, what kind of world do you want it to be? Am I the future or the history?” – tönt der Klang der Gegenwart von Coldplay uns entgegen.
* Wenn es um einzelne Aspekte des Wandels hin zu mehr Nachhaltigkeit geht, nennen 42 % die Diversität der Belegschaft als Herausforderung, 34 % sehen den Purpose (den unternehmerischen Zweck) und 31 % saubere Lieferketten.
** In der Praxis bedeutet dies, dass die Unternehmen darüber Bericht erstatten müssen, wie sich ihr Geschäftsmodell auf die ESG-Performance des Unternehmens auswirkt und wie externe Nachhaltigkeitsfaktoren (etwa Klimawandel oder Menschenrechtsfragen) ihre Tätigkeiten beeinflussen.
Kerstin Hosa verantwortet als Projektmanagerin die Nachhaltigkeits-Agenda der ÖBAG und ist für eben diese im digitalen Raum als Kommunikatorin unterwegs. U.a. initiierte sie die portfolioübergreifende Sustainability Data Science Challenge. Als Impact- und Mediamanagerin war sie zuletzt beim Europäischen Forum Alpbach tätig.