Governance im Konzern – OGH 6 Ob 209/20h
Hemma Parsché , 29.11.2021
In Österreich existiert kein kodifiziertes Konzernrecht. § 15 AktG und § 115 GmbHG beschränken sich auf eine Definition des Konzerns, aus der die Lehre ableitet, dass der Konzern nicht grundsätzlich verboten ist (vgl. Auer in Artmann/Karollus, AktG I6 § 15 Rz 2 und 20). Das Gesellschaftsrecht enthält vereinzelt Regelungen, die Konzernsachverhalte berücksichtigen – so beispielsweise in § 118 Abs 1 AktG (die Auskunftspflicht der Aktionäre erstreckt sich auch auf die rechtlichen und geschäftlichen Beziehungen der Gesellschaft zu einem verbundenen Unternehmen) oder § 95 Abs 2 AktG (der Aufsichtsrat kann vom Vorstand jederzeit einen Bericht über die Angelegenheiten der Gesellschaft einschließlich ihrer Beziehungen zu einem Konzernunternehmen verlangen). Das österreichische Konzernrecht wird durch die Rechtsprechung laufend weiterentwickelt. So ist nach ständiger Rechtsprechung des OGH der Konzern keine Gesellschaft, sondern zeigt bloß ein bestimmtes „Verbundenheitsverhältnis“ zwischen Unternehmen an, die zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammengefasst sind (RS0049295). Der Konzern selbst hat keine Rechtsfähigkeit und keine eigenen Konzern-Organe.
Unlängst äußerte sich der OGH in seiner Entscheidung 6 Ob 209/20h zu Zustimmungsvorbehalten im Konzern. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Klägerin ist die L-AG, eine reine Konzernholdinggesellschaft. Tochtergesellschaft der L-AG ist mit einem Anteil von 36,39% die reine Holdinggesellschaft W-AG; diese wiederum ist zu 100% an der WS-AG beteiligt. Die Geschäftsordnungen des Aufsichtsrats und des Vorstands der Konzernholdinggesellschaft L-AG sehen vor, dass sich bestimmte Genehmigungsvorbehalte des Aufsichtsrates der Konzernholdinggesellschaft L-AG nicht nur auf die L-AG selbst beziehen, sondern auch auf ihre Tochtergesellschaften, u.a auch auf die Teilkonzernholding W-AG. Dem Zustimmungsvorbehalt unterliegt unter anderem die Übernahme von Patronatserklärungen durch die Teilkonzernholding W-AG. Der Vorstand der Tochtergesellschaft W-AG hat gegenüber einem Kreditinstitut eine Patronatserklärung zu Lasten der W-AG mit Bezug auf die WS-AG abgegeben – dies ohne Zustimmung des Aufsichtsrats der Konzernholdinggesellschaft L‑AG.
Die wesentliche Rechtsfrage, mit der sich der OGH aus Konzern Corporate Governance-Sicht in diesem Zusammenhang auseinanderzusetzen hatte, war, ob der Aufsichtsrat einer Muttergesellschaft wirksam veranlassen kann, dass ein Rechtsgeschäft der Tochtergesellschaft nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats der Muttergesellschaft durchgeführt werden darf.
In seiner Entscheidungsbegründung gibt der OGH einen umfassenden Überblick zu Lehrmeinungen betreffend Fragen der Konzernleitung. Der OGH anerkennt, dass, den Vorstand einer Konzernobergesellschaft auch eine gewisse Konzernleitungspflicht trifft, die in weiterer Folge der Aufsichtsrat der Konzernobergesellschaft zu überwachen hat, da auch die Konzernleitung eine Geschäftsführungsangelegenheit im Sinne des § 95 Abs 1 AktG ist. Diese Konzernüberwachung des Aufsichtsrats der Konzernobergesellschaft hat sich nach Ansicht des OGH auf solche Themen zu beschränken, die auch tatsächlich „konzernrelevant“ sind; Konzernrelevanz ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn sich Maßnahmen eines Konzernglieds nicht bloß unbedeutend auch auf die Vermögens- und Ertragslage der Konzernobergesellschaft auswirken.
Liegt ein konzernrelevantes, zustimmungspflichtiges Rechtsgeschäft auf Ebene des Konzernglieds vor, ist dieses, nach Ansicht der OGH, somit (auch) vom Aufsichtsrat der Konzernobergesellschaft zu genehmigen.
Der OGH hält fest, dass Vorstand und Aufsichtsrat der Konzernobergesellschaft gerade nicht befugt sind, in die Leitung der „untergeordneten“ Konzernglieder in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft direkt (wie in der eigenen Gesellschaft) einzugreifen bzw. rechtlich verbindliche Weisungen zu erteilen; dass konzernrechtliche Weisungen jedoch nicht grundsätzlich nichtig sind, erscheint dem OGH als gangbare Lösung. Da die auf Ebene der Konzernobergesellschaft angesiedelten Zustimmungsvorbehalte keine unmittelbaren Rechtsfolgen für die Organe des Konzernglieds haben, ist das Geschäftsführungsorgan des Konzernglieds auch nicht dazu verpflichtet, die Zustimmung des Aufsichtsrats der Konzernobergesellschaft einzuholen. Die vom OGH ausgesprochene Ausdehnung des Zustimmungsvorbehalts auf Konzernsachverhalte verpflichtet allerdings den Vorstand der Konzernobergesellschaft, auf das betreffende Konzernglied dahingehend einzuwirken, dass die betroffenen Geschäftsführungsmaßnahmen tatsächlich nur mit Zustimmung des Aufsichtsrats der Konzernobergesellschaft durchgeführt werden. Verweigert der Aufsichtsrat der Konzernobergesellschaft seine Zustimmung, so ist die Geschäftsführung der Konzernobergesellschaft angehalten, darauf hinzuwirken, dass die beabsichtigte Maßnahme in dem betroffenen Konzernglied unterbleibt.
Hemma Parsché betreut in der ÖBAG das Beteiligungsmanagement aus rechtlicher Sicht. Darüber hinaus ist sie für die Bereiche Nachhaltigkeit und Governance mitverantwortlich. Als ehemalige Rechtsanwältin in einer Wirtschaftskanzlei verfügt sie über langjährige, internationale Erfahrung, insbesondere in den Bereichen Corporate / M&A, Capital Markets sowie Banking & Finance. Ihr rechtswissenschaftliches Studium schloss sie mit dem Doktorrat in Wien und dem LL.M. in London ab.