Die vier Phasen der Krisenbewältigung
Sabine Stock, 06.04.2021
Die Pandemie stellt die gesamte Wirtschaft seit einem Jahr vor riesige Herausforderungen. Ein Ende der Krise ist in Sicht. Dennoch hat sich für viele Branchen das Geschäftsklima erheblich verschlechtert. Umso wichtiger ist es für Unternehmen nach wie vor, schnell und konsequent das Richtige zu tun, um für die Zeit nach der Krise gerüstet zu sein. Welche Maßnahmen notwendig und sinnvoll sind, habe ich beim zweiten ÖBAG-Forum „Quo vadis, Wirtschaft?“ unter anderem gemeinsam mit Bettina Glatz-Kremsner (Casinos Austria AG), Michael Strugl (Verbund AG), Andreas Brandstetter (UNIQA) und Alexis von Hoensbroech (Austrian Airlines AG) diskutiert.
Viele Entscheider fragen sich, welche Schritte sie unternehmen müssen, um den Wert ihres Unternehmens in Zukunft nicht nur zu sichern, sondern auch nachhaltig zu steigern. Um die generelle Dynamik in Krisensituationen genauer nachvollziehen zu können, hat die Boston Consulting Group die Wertsteigerungsstrategien österreichischer Unternehmen nach der Finanzkrise 2008/09 untersucht. In der Studie Comeback Kids 2019: Durchstarten nach der Finanzkrise haben wir ermittelt, welche zehn österreichischen Unternehmen die negativen beziehungsweise krisenhaften Entwicklungen der Jahre 2008/2009 am erfolgreichsten überwunden haben. In der Gesamtbetrachtung hatten die besten Comeback Kids ihre EBITDA-Marge seit dem Tiefpunktjahr 2009 um 13 Prozentpunkte mehr gesteigert als die Vergleichsbasis der anderen Unternehmen. Gleichzeitig erzielten sie eine siebenfach höhere absolute Wertsteigerung. Um es gleich vorweg zu nehmen: Ein Patentrezept für die erfolgreiche Krisenbewältigung gibt es nicht. Dennoch können wir von den Comeback Kids lernen, denn unsere Studie zeigt, dass die Top-Performer fünf archetypische Strategien anwenden, um erfolgreich und mit maximalem Momentum aus einem Abschwung herauszukommen.
Turbulenzen meistern, stabilisieren, durchstarten, auf Kurs bleiben: Die Comeback Kids meistern diese Herausforderungen, abhängig von der jeweiligen Wirtschaftsphase, besser als andere. Dabei verfolgen sie archetypische Wertschöpfungsstrategien: Kosten- und Effizienzoptimierung, Fokussierung des Geschäfts, organisches Wachstum, anorganisches Wachstum und Desinvestition. Diese Strategien hat BCG bei allen Comeback Kids beobachtet. Eine einheitliche Kombination oder Reihenfolge der Maßnahmen gibt es nicht. Die Comeback Kids forcieren vielmehr je nach wirtschaftlicher Entwicklung und Krisenphase die eine oder andere Strategie.
- Turbulenzen meistern: Die Liquiditätssicherung ist eine der ersten und wichtigsten Maßnahmen, die Unternehmen nach Eintreten einer Krise in Angriff nehmen müssen. Eine hohe Liquidität macht Unternehmen robuster und handlungsfähiger, sie können so besser durch die Turbulenzen der Krise steuern. Das haben auch die Comeback Kids beherzigt. Sehr früh, das heißt zu Beginn der Krise, starteten die Comeback Kids Kosten- und Effizienzprogramme sowie Desinvestitionen. Auf diese Weise sicherten die Unternehmen ihre Liquidität, reduzierten ihre Nettoverschuldung und behielten ihre Handlungsfähigkeit. Dies zeigt sich in dem starken Anstieg der Liquiditätsquote bei den Comeback Kids im Zeitraum 2009-2011. Während der Durchschnitt die liquiden Mittel nur um zwei Prozent erhöhte, steigerten die Comeback Kids sie um 158 Prozent.
- Strategie festlegen und stabilisieren: Bereits in einer frühen Phase der Krise – eigentlich direkt nach dem unmittelbaren Sichern der Liquidität – sollten sich Unternehmen mit der Zeit NACH der Krise befassen und sich strategische Fragen stellen: Wie wird die Krise unser Geschäftsmodell verändern? Führt die zunehmende Digitalisierung zu grundsätzlichen Verschiebungen bei den Kunden oder Produkten? Wie soll unser Geschäftsmodell aussehen nach der Krise? Was und wen brauchen wir dafür? Auch die Comeback Kids haben eine klare Vision für die Zeit nach der Krise entwickelt. Ein strategisches Zielbild („Nordstern“) ist das zentrale Element. Szenarien wurden aufgestellt und in die Planung überführt. Darüber hinaus trieben die Unternehmen die Digitalisierung ihres Geschäftsmodells voran. Frei gewordene Mittel investierten sie in die organische Expansion und legten den Schwerpunkt auf margenstarke Segmente und stabilisierten damit das Geschäft. Zusätzlich wurden diese Strategien von weiteren Kosten- und Effizienzprogrammen unterstützt.
- Mit Volldampf durchstarten: Anschließend ist die Konzentration auf anorganisches Wachstum wesentlich. Die Comeback Kids nutzten das niedrige Zinsniveau für Akquisitionsaktivitäten in sich schnell entwickelnden und ertragsstarken Geschäftsfeldern, insbesondere im Bereich der Digitalisierung. Gleichzeitig entwickelten sie ihr jeweiliges Portfolio von Einzelprodukten hin zu kompletten Produktsystemen. Diese Strategie schlägt sich im starken Umsatzwachstum nieder: Die Umsätze der besten Comeback Kids wuchsen zwischen 2013 und 2016 durchschnittlich um rund 13 Prozent. Die Vergleichsbasis weist ab 2013 dagegen einen Umsatzrückgang von über neun Prozent pro Jahr und ab 2016 eine jährliche Wachstumsrate von lediglich sieben Prozent auf. Kosten- und Effizienzprogramme sollten weiterhin auf der Agenda der Unternehmen stehen.
- Auf Kurs bleiben: Die dominierenden Strategien in dieser Phase sind organisches und anorganisches Wachstum. Damit soll einerseits eine stabile Entwicklung sichergestellt werden, andererseits wollen die Unternehmen an der Digitalisierung, Internationalisierung und Integration von Produktinnovationen nicht nur partizipieren, sondern diese aktiv und kontinuierlich in ihrer Branche vorantreiben. Die Comeback Kids nutzten in dieser Phase gezielt ihr Wachstumspotenzial.
Es gibt auch Gewinner in der Covid-19-Krise
Die Finanzkrise 2008/09 und die aktuelle Krise als Folge der Pandemie unterscheiden sich. Während die Finanzkrise alle Branchen getroffen hat, zeigt sich bei der Corona-Krise ein differenzierteres Bild – es gibt nicht nur Verlierer. In einigen Branchen wie etwa Biotechnologie, Pharma oder Telekommunikation hat der Aktienertrag gemessen am Total Shareholder Return sogar zugelegt. Aber selbst Unternehmen, die die Corona-Pandemie stark getroffen hat, können den Moment nutzen, um über die grundsätzliche Ausrichtung ihres Geschäfts nachzudenken. Wenn sie die vier Phasen der Krisenbewältigung durchlaufen und die archetypischen Strategien der Krisenbewältigung befolgen, können sie langfristig als Gewinner aus dieser Ausnahmesituation hervorgehen.
Sabine Stock ist Managing Director und Partner bei der Boston Consulting Group (BCG) in Wien. Sie ist Expertin für die Energiebranche im Allgemeinen sowie für die Optimierung von Arbeitsabläufen.