Blind Booking: Die europäische Luftfahrtindustrie auf Kurs mit unbekanntem Ziel
Anselm Waterhouse, 14.01.2025
Trotz Erholung nach der Covid-19 Pandemie bleibt die „Total Airport Connectivity“ in Europa 2023 um 16 Prozent unter den Allzeit-Höchstwerten von 2019. Die Expansion von Ultra-Low-Cost-Carriern (LCC) und der Rückzug europäischer Netzwerk-Carrier (FSC, Fluggesellschaften mit globalem Streckennetz und zentralem Drehkreuz, um Passagiere über Kurz-, Mittel- und Langstreckenflüge zu verbinden) beeinflussen diese Entwicklung maßgeblich.
Welche wirtschaftliche Relevanz hat die Luftfahrtindustrie in Europa?
Die Flughäfen innerhalb der Europäischen Union generieren:
- 851 Milliarden Euro BIP (5 Prozent des EU-BIP)
- 14 Millionen Arbeitsplätze (6 Prozent der Gesamtarbeitsplätze in Europa)
Die Luftfahrtindustrie hat in ihrer Geschichte stets eine bemerkenswerte Resilienz bewiesen. Auch nach dem pandemiebedingten Einbruch im Jahr 2020 verzeichnet die Branche heute wieder ein deutliches Wachstum. Bereits 2023 schloss sie an die Spitzenleistungen der Jahre 2015 und 2016 an. Trotz dieses respektablen Wiederaufbaus gibt es in der Branche dennoch Bereiche, in denen die Performance der Luftfahrtindustrie (zumindest) in Europa nicht wieder hergestellt werden konnte. Die Gründe hierfür sind divers. Im Folgenden werden drei Teilbereiche beleuchtet, die für die künftige Entwicklung der Branche in Europa maßgeblich sein werden:
1. Verbindungsnetzwerk: Warum ist Luftfahrt-Konnektivität wichtig?
Um der Entwicklung der Konnektivität entsprechende Bedeutung beizumessen, reicht ein Blick auf die positiven wirtschaftlichen Implikationen, die durch europäische Flughäfen und die Konnektivität der Luftfahrt erwirtschaftet werden.
Die Steigerung der direkten Konnektivität um 10 Prozent führt zu:
- 0,5 Prozent Wachstum des EU-BIP
- 1,6 Prozent mehr Arbeitsplätze innerhalb der Europäischen Union
Die von europäischen Flughäfen generierte Konnektivität der Luftfahrt trägt 851 Milliarden Euro zum BIP bei, was 5 Prozent des EU-BIP entspricht, und sichert 14 Millionen Arbeitsplätze, das sind 6 Prozent aller Beschäftigten in der Europäischen Union. Die simple Rechnung: Steigt die Konnektivität, so steigt auch das BIP und es gibt mehr Arbeitsplätze. Dies belegt eine aktuelle Studie, die berechnet, dass der 10-prozentige Anstieg an direkter Konnektivität ein Wachstum des EU-BIP um 0,5 Prozent und ein Plus von 1,6 Prozent an Arbeitsplätzen bedeutet.
Neben der Konnektivität und ihrer Bedeutung für die europäische Wirtschaft muss auch das veränderte Reiseverhalten der Passagiere neu bewertet werden. Der Anstieg von Freizeit- und VFR-Reisen (Visiting Friends and Relatives) bei gleichzeitig rückläufigem Geschäftsreiseverkehr erfordert eine angepasste Infrastruktur. Die europäische Luftfahrtindustrie reagiert jedoch nicht schnell genug auf diese Veränderungen, was unter anderem auf die Belastungen durch geopolitische Krisen und Konflikte zurückzuführen ist, die die Branche besonders stark treffen.
2. Wohin entwickeln sich die europäischen Drehkreuze?
Veränderungen am europäischen Markt spiegeln sich auch in der Entwicklung der europäischen Drehkreuze wider.
- Rückgang europäischer Hubs:
- Frankfurt: minus 23 Prozent (2023 vs. 2019)
- Amsterdam: minus 19 Prozent
- Im Vergleich Istanbul:
- Wachstum um 31 Prozent im selben Zeitraum
Während im globalen Vergleich die europäischen Drehkreuze Frankfurt und Amsterdam um 23 Prozent beziehungsweise 19 Prozent gegenüber 2023 geschrumpft sind, wuchs das Drehkreuz am Flughafen Istanbul im Jahresvergleich um 31 Prozent. Die schwächelnde Drehkreuz-Entwicklung in Mitteleuropa ist symptomatisch für die Entwicklung des Wettbewerbs am europäischen Markt zwischen LCC und FSC, die die überwiegende Mehrheit an Flügen an den europäischen Hubs stellen. So ist das Wachstum der Konnektivität seit 2013 allein auf das Wachstum der LCC zurückzuführen, während FSC im Vergleich sogar schrumpfen (siehe dazu: ACI Europe Airport Industry Connectivity Report 2023). Mit Blick auf den Marktanteil der EU-Fluggesellschaften am Passagieranteil bei Reisen von Europa nach Asien zeigt sich auch hier ein klares Bild zum Nachteil der Länder innerhalb der Europäischen Union. So ist der Anteil der Golf- und Bosporus-Fluggesellschaften an den Passagieren von Europa in den ost- und süd-ost-asiatischen Bereich seit 2002 um ein Vielfaches gestiegen, während sich der Anteil der EU-Fluggesellschaften halbiert hat.
3. Wie beeinflussen nachhaltige Flugkraftstoffe (SAF) die Zukunft der Luftfahrt?
Zu den skizzierten veränderten Marktgegebenheiten kommt, dass seit Jänner 2025 alle Flüge, die innerhalb der EU unterwegs sind und aus dieser starten einen verpflichtenden Mindestanteil von 2 Prozent an nachhaltigen Flugkraftstoffen SAF (Sustainable Aviation Fuels) tanken müssen.
Ab 2025 gelten für EU-Flüge strikte Quoten:
- 2 Prozent SAF-Pflicht seit Jänner 2025
- Schrittweise Steigerung der Quote bis 70 Prozent ab 2050
Herausforderungen:
- Kosten: SAF ist derzeit drei bis fünf Mal teurer als herkömmliches Kerosin
- Produktion: SAF muss in der EU hergestellt werden; Importe sind ausgeschlossen
- Investitionen: Hoher Kapitalbedarf für Infrastrukturaufbau
Branchenforderungen:
- Staatliche Subventionen der SAF-Produktion innerhalb Europas
- Entlastung europäischer Fluggesellschaften in Erfüllung der SAF-Beimischungs-verpflichtung zur Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit
Der 2-prozentige-SAF-Anteil soll schrittweise in fünf-Jahresschritten bis 2050 auf 70 Prozent ansteigen. Die Luftfahrtindustrie erkennt die Notwendigkeit zur Emissionsreduktion und Dekarbonisierung an, sieht jedoch die Erfüllung der Beimischungsverpflichtung als Herkulesaufgabe. Das hat zum einen mit den hohen Mehrkosten für die Fluggesellschaften und zum anderen mit den Investitionskosten zu tun, die auf Seiten der produzierenden Industrie zur Herstellung von SAF innerhalb Europas gestemmt werden müssen. So muss beispielsweise das beizumischende SAF in der EU hergestellt werden und darf nicht von außereuropäischen Märkten zugekauft werden. Ob bis 2030 und 2035 ausreichend SAF für die steigenden Beimischungsverpflichtungen (6 bzw. 20 Prozent) am europäischen Markt verfügbar sein wird, wird derzeit kritisch hinterfragt. Auch hierzu besteht in der Branche der einhellige Tenor, dass der regulatorischen Forderung zur Beimischung, staatliche Subventionen gegenüberstehen müssen, die sowohl zur Finanzierung der SAF-Herstellung in Europa notwendig wären, als auch zur Entlastung europäischer Fluggesellschaften notwendig sind, die insbesondere der Konkurrenz gegenüber Fluggesellschaften aus dem Nahen Osten ausgesetzt sind, wo keine SAF-Beimischungsverpflichtung zu erfüllen ist.
Angesichts der durch den Einsatz von SAF zu erwartenden, hohen Kosten sowohl auf Seiten der Fluggesellschaften als auch auf Seiten der produzierenden Industrie, überrascht es nicht, dass auf der internationalen Bühne, Vertreter der Industrie den Appell an die Europäische Kommission richten, Maßnahmen zur Stärkung des Wettbewerbs Europas zu setzen, um auch die Luftfahrtindustrie gegenüber ihren internationalen Wettbewerbern zu unterstützen. Ob diesem Appel, der zuletzt auch auf der diesjährigen IATA WOCE Konferenz in Rom deutlich zum Ausdruck gebracht wurde, Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Luftfahrtindustrie folgen, bleibt abzuwarten. Unter den Teilnehmenden der Konferenz wurde jedenfalls positiv aufgenommen, dass seitens Filip Cornelis, Direktor für Luftfahrt innerhalb der Europäischen Kommission, eine klare Botschaft zur Stärkung des Wettbewerbs der Europäischen Union und ein Zugeständnis zur Verfolgung des Draghi Berichts kommuniziert wurde.
Fazit
Die europäische Luftfahrtindustrie steht erneut vor strukturellen Marktveränderungen, deren Auswirkungen angesichts einer stark wachsenden internationalen Konkurrenz und regulatorischen Vorgaben jedenfalls als Herausforderung, vielleicht aber auch als Chance anzusehen sind. Der Appel nach einer Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit erklingt auch aus der Luftfahrtindustrie, wo ein wieder erstarkter Wettbewerb als Motor für Investition und Innovation dienen soll, um die europäische Luftfahrtbranche als innovative Vorreiterin im internationalen Wettbewerb zu etablieren.
Anselm Waterhouse betreut als Investment Manager in der ÖBAG Unternehmen aus dem Glücksspiel- und Luftfahrtsektor. Darunter fallen die Casinos Österreich AG, die Österreichische Lotterien sowie die Austrian Airlines.