Innovation: Umgang mit Kunststoffen neu denken
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Thomas Gangl, CEO Borealis, 12.07.2021
Kunststoffe sind hochwertige Werkstoffe und nicht selten die nachhaltigere Wahl. Problematisch ist allerdings die nicht-fachgerechte oder mangelnde Entsorgung von Kunststoffprodukten – die Lösung liegt im Übergang zu einer globalen Kreislaufwirtschaft.
Prognosen der Vereinten Nationen gehen davon aus, dass die Weltbevölkerung bis 2050 auf neun Milliarden Menschen wachsen wird: Das sind fast zwei Milliarden mehr als heute. Der Großteil der Menschen wird in Städten leben, womit der Druck auf die Nahrungsmittel-, Wasser- und Energieressourcen in den nächsten Jahren deutlich zunehmen wird. Bereits heute ist der Bedarf an Werkstoffen, speziell an Kunststoffen sehr hoch – mit diesem Zukunftsszenario und den damit verbundenen Herausforderungen brauchen wir innovative Lösungen und Technologien.
Multifunktionaler Einsatz mit Schutz vor Viren und Keimen
Kunststoffe sind entgegen dem berechtigten kritischen Blick auf die Wegwerf-Kultur ein effizienter Werkstoff. Ihre Bedeutung für das moderne Leben wurde uns mit der Pandemie einmal mehr vor Augen geführt: Hochwertige Gesichtsmasken, Einweghandschuhe und sterile Verpackungen im Gesundheitswesen begleiten uns täglich, hygienische Verpackungen von Lebensmitteln und Take-away-Mahlzeiten bekamen einen noch höheren Stellenwert. Der Einfluss von Kunststoffen in Form innovativer Produktlösungen ist überaus positiv. In der Medizin sind Kunststoffe im wahrsten Sinne des Wortes überlebenswichtig, denn: Alle 90 Sekunden wird in Österreich laut dem Roten Kreuz eine Blutkonserve benötigt – pro Tag sind das etwa 1.000, pro Jahr insgesamt 350.000 Konserven. Zu Blutkonserven und Infusionsbeuteln aus sterilem Kunststoff gibt es kaum sinnvolle Alternativen. Das Trinkwasser in Österreich steht den Menschen nur aufgrund von Kunststoff-Rohrleitungen sauber, zuverlässig und bezahlbar zur Verfügung. Im Supermarkt sorgen Verpackungen aus Kunststoff für längere Lebensmittelhaltbarkeit und reduzieren so das Aufkommen von Lebensmittelabfällen.
Kunststoffe tragen umso mehr zur CO2-Reduktion bei, wenn sie im Kreislauf gehalten werden.
In die Energiewende mit Kunststoffen
Auch für die Wende in der Energieerzeugung hin zu klimafreundlicheren Lösungen vertrauen wir auf hochwertige Kunststoffe: Moderne Wind- und Photovoltaik-Anlagen sind angewiesen auf sehr langlebige, witterungsbeständige Kunststoffmaterialien. Die Rotorblätter werden heute zur Gänze aus faserverstärkten Kunststoffen, die der mechanischen Dauerbelastung eines Rotors dieser Größe standhalten können, gefertigt. Strom wird über Kunststoff-isolierte Kabel in Form von Hoch- und Höchstspannungs-Gleichstromübertragung transportiert. Anschließend wird sie in Batterien und Kondensatoren, die zu wesentlichen Teilen aus Kunststoffen bestehen, gespeichert.
Wo allerdings angesetzt werden muss, ist der Umgang mit Kunststoff-Abfällen. Die negativen Aspekte von Kunststoff, die vor allem mit der unzureichenden, falschen oder gar nicht durchgeführten Entsorgung von Kunststoffprodukten zusammenhängen, lassen sich am besten durch einen raschen und umfassenden Wandel hin zur Kreislaufwirtschaft lösen. Das Müllaufkommen steigt, da unser Wirtschaftssystem größtenteils linear ausgerichtet ist („Produktion – Nutzung – Entsorgung“), die Kreislaufwirtschaft hingegen ermöglicht die Verbrauchsreduktion von Primär-Rohstoffen und damit einhergehend die Senkung der CO2-Emissionen. Für den Übergang zu einer globalen Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe braucht es nicht nur die eigene Überzeugung, sondern vor allem entsprechende gesetzliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die die Kreislaufwirtschaft fördern und gleichzeitig Innovation zulassen. Die im EU-Raum definierten Recyclingquoten müssen als Vorbild für globale Standards dienen.
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Gemeinsamer Umstieg auf die Kreislaufwirtschaft
Borealis setzt sich aus Überzeugung für die Kreislaufwirtschaft in der Branche ein. Neben den bestehenden Lösungen für die mechanische Wiederaufbereitung von Kunststoffen kooperieren wir mit dem ÖBAG-Beteiligungsunternehmen OMV im Innovationsprojekt ReOil, bei dem durch einen chemischen Prozess Post-Consumer- und Post-Industrie-Kunststoffe zu synthetischem Rohöl und petrochemischem Rohmaterial für die Produktion von Neukunststoffen gewonnen werden. Branchenübergreifend unterstützen wir Initiativen wie „ A Line in the Sand“ der Ellen MacArthur Foundation und haben mit „EverMinds™“ eine Plattform geschaffen, mit der wir gemeinsam mit unseren Kunden und unseren Partnern entlang der Wertschöpfungskette konkrete Maßnahmen setzen, um die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft in größerem Maßstab in der Industrie zu implementieren. Auch das Problem der Verschmutzung der Meere durch Müll gehen wir bereits seit Jahren bewusst an: Im Rahmen des Projekt STOP erarbeiteten wir bereits in drei Städten in Indonesien ein Recyclingsystem, mit dem effektivere Kreislaufsysteme vor Ort geschaffen werden und dadurch auch wichtige Wertschöpfung und Arbeitsplätze entstehen. Das Projekt wird in den nächsten Jahren weiter ausgerollt.
Es braucht gesetzliche Rahmenbedingungen und globale Standards, um die Kreislaufwirtschaft voranzubringen.
Die Herausforderungen in den einzelnen Wirtschaftszweigen und -regionen mögen sich unterscheiden, allerdings eint uns die Mission, das derzeitige Wirtschaftssystem emissionsärmer zu gestalten. Dafür braucht es einen effizienteren Einsatz der Ressourcen und eine Kreislaufwirtschaft, die verhindert, dass Abfall überhaupt entsteht. Je früher wir mit diesem Systemwandel starten und die Zirkularität vorantreiben, desto früher ebnen wir den Weg in Richtung Nachhaltigkeit, die für viele Unternehmen Chancen bereithält und ein Gewinn für Mensch und Natur sein wird.
Thomas Gangl ist seit April 2021 CEO von Borealis, einem der global führenden Anbieter fortschrittlicher und kreislauforientierter Polyolefinlösungen und europäischer Marktführer in den Bereichen Basischemikalien, Pflanzennährstoffe und mechanisches Recycling von Kunststoffen. Zuvor war Thomas Gangl Vorstandsmitglied der OMV und hat dort den Grundstein für das chemische Recycling sowie eine künftige Kreislaufwirtschaft gelegt.