Der Staat als Ankeraktionär
Christoph Badelt und Michael Peneder, 01.03.2020
Trotz großer Privatisierungswellen in der Vergangenheit befindet sich das öffentliche Eigentum an Unternehmen weltweit keineswegs im Rückzug: Ende 2017 waren von den 10 Tausend größten börsennotierten Unternehmen rund 14 Prozent in der öffentlichen Hand. Hauptverantwortlich ist der beständige Wandel der internationalen Rahmenbedingungen durch Globalisierung, technologische Veränderungen sowie wiederkehrende Krisen. So erfasst etwa die Globalisierung in Form von Staatsfonds neben den wachsenden Handelsbeziehungen und Direktinvestitionen zunehmend auch das grenzüberschreitende öffentliche Eigentum an bzw. die Kontrolle von Unternehmen.
Die Frage in welchem Ausmaß sich der Staat selbst in der Produktion bzw. Bereitstellung von Gütern innerhalb einer Marktwirtschaft engagieren soll, hatte in der ordnungspolitischen Diskussion auch bisher einen festen Platz. Die traditionelle Finanzwissenschaft wies dem Staat überall dort eine zentrale Rolle zu, wo es darum geht, „Marktversagen“ zu verhindern oder zu korrigieren; das ist beispielsweise die Bereitstellung öffentlicher Güter oder bei „natürlichen Monopolen“, wie etwa wichtigen Elementen der Infrastruktur eines Landes. Was diesbezüglich im Lehrbuch als trennscharfe Demarkationslinie ausgewiesen wird, stellt sich jedoch in der Praxis als gar nicht trivial heraus. Nicht nur, dass technische Entwicklungen dazu führten, dass frühere „natürliche Monopole“ ihren Charakter völlig änderten (Beispiel: Telekommunikation), hat die Wirtschaftspolitik auch immer wieder den Weg geöffnet, öffentliche Monopole durch ein Zurückschrauben des Leistungsumfangs in ihrem Charakter zu verändern. Dadurch werden neue Formen der Konkurrenz zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen zugelassen, wie etwa das Beispiel der Privatbahnen auf öffentlich bereitgestellter Schieneninfrastruktur zeigt.
Die Rolle des Staats als Investor beziehungsweise als Produzent von Gütern und Leistungen ist somit viel differenzierter zu betrachten, als dies die traditionelle Theorie des Marktversagens nahezulegen scheint. Dies schon deshalb, weil es eine Vielzahl von aktuellen wirtschaftspolitischen Problemen nahelegt, die Rolle des Staats in der Wirtschaft neu zu denken.
Dabei sind verschiedene Aspekte mit unterschiedlicher Fristigkeit ihrer Relevanz zu unterscheiden: Ganz aktuell kann es in einer Wirtschaftskrise, wie der gegenwärtigen Covid-19 Krise, sinnvoll sein, dass der Staat zur Stärkung der Eigenkapitalbasis von an sich gesunden Unternehmen eine Beteiligung eingeht, um die Unternehmen durch die Krise zu bringen – mit der festen Absicht, sich später mit Gewinn aus den Unternehmen wieder zurückzuziehen. Dieses Krisenkapital kann eine sinnvolle Alternative zu reinen Förderungen ohne öffentlichen Eigentumserwerb sein, weil dadurch sichergestellt wird, dass es von den betroffenen Unternehmen nur im Notfall in Anspruch genommen wird. Zusätzlich haben Unternehmen mit staatlichem Kerneigentum in Krisenzeiten einen leichteren Zugang zum Anleihemarkt und können sich dort auch kostengünstiger verschulden. Dabei geht es aber nicht um eine langfristig strategische Beteiligung, sondern um eine vorübergehende Intervention.
Wesentlich grundsätzlicher ist der Ansatz, dass sich die öffentliche Hand in einer Minderheitenrolle an Unternehmen beteiligt, für die der Staat als langfristiger Kernaktionär einen Vorteil beim Wachstumsprozess darstellen könnte. Dies ist vor dem Hintergrund von diagnostizierten Schwachstellen des Wirtschaftsstandorts (zum Beispiel am österreichischen Kapitalmarkt) zu sehen.
Die Industriestrategie der EU-Kommission vom 10. März 2020 betont die Notwendigkeit einer Stärkung der strategischen Autonomie in Europa. Diese Zielsetzung markiert eine deutliche Abkehr von einfachen Lehrbuchansätzen, weil „Strategie“ ein komplexes Umfeld voraussetzt, in dem den objektiv gegebenen rechtlichen, technologischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten immer auch die eigenen Stärken und Schwächen handlungsleitend gegenüberstehen. Im Fachjargon der Ökonomie ist eine strategische Ausrichtung dann gefragt, wenn der Markt nicht zwangsläufig zu einem einzigen optimalen Ergebnis führt, sondern eine Mehrzahl unterschiedlicher Gleichgewichte möglich und durch politische Entscheidungen beeinflussbar sind.
Die Vorgabe einer strategischen Industrie- und Standortpolitik kann aber auch leicht missverstanden werden. Damit aus ihrer Weiterentwicklung keine Rückwendung zu alten Verhaltensmustern und Fehlern wird, muss man kritische Punkte offen ansprechen:
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- Eine Stärkung der Möglichkeiten zur politischen Steuerung betrifft nicht nur die Herstellung von Waren, also die Industrie im herkömmlichen Sprachgebrauch, sondern alle Wirtschaftszweige, die kritische Rohstoffe, Technologien oder Infrastrukturleistungen bereitstellen beziehungsweise auf diese angewiesen sind.
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- Strategische Industriepolitik zielt auf eine hohe Wettbewerbsfähigkeit. Diese setzt Wettbewerb und somit den freien Austausch von Waren und Investitionen voraus. Für kleine, offene Volkswirtschaften wie Österreich ist dieser Grundsatz besonders wichtig.
- Erweiterte Instrumente wie der neue europäische Rahmen für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen – und gegebenenfalls der Verhinderung von Unternehmensübernahmen, sollen der Politik bei Bedarf und nur in Ausnahmefällen ein rasches Einschreiten ermöglichen, aber keinesfalls Routine werden oder aufwendige Verwaltungsprozesse nach sich ziehen.
- Strategische Industriepolitik zielt auf eine hohe Wettbewerbsfähigkeit. Diese setzt Wettbewerb und somit den freien Austausch von Waren und Investitionen voraus. Für kleine, offene Volkswirtschaften wie Österreich ist dieser Grundsatz besonders wichtig.
Wenn der Staat die Instrumente schärft, um in Einzelfällen das Abwandern kritischer Unternehmenskerne durch ausländische Direktinvestitionen zu verhindern, muss er folgerichtig auch die Institutionen und Instrumente für das eigene Beteiligungsmanagement stärken. Diese Rolle nimmt die ÖBAG als langfristige Investorin ein, um die Interessen der Republik Österreich sicher zu stellen.
Eine aktuelle Studie des WIFO im Auftrag der ÖBAG hebt drei Eckpfeiler für eine Strategie zur Stärkung der Eigenkapitalbasis privater Unternehmen durch öffentliche Ankeraktionäre hervor:
- Die Beschränkung auf gut begründete Ausnahmefälle (u.a. Daseinsvorsorge, kritische Infrastruktur oder Absicherung standortpolitisch wichtiger Unternehmenszentralen) und nur, wenn am Standort private Ankeraktionäre fehlen.
- Eine wirksame Corporate Governance, die sowohl politische Einflussnahmen auf operative Entscheidungen konsequent und glaubhaft unterbindet als auch nachhaltige Wertsteigerungen der öffentlichen Beteiligungen durchsetzt.
- Die vorübergehende Bereitstellung von Krisenkapital für Unternehmen, die an sich wettbewerbsfähig und für den Standort von besonderer Bedeutung sind, erfordert jeweils ein explizites Ausstiegsszenario (z.B. durch Veräußerung der Anteile über die Börse oder an private Ankeraktionäre).
Christoph Badelt leitet seit 2016 das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Seit 1989 ist Badelt Professor für Wirtschafts- und Sozialpolitik an der Wirtschaftsuniversität Wien. Von 2002 bis 2015 war er ebendort Rektor und einige Jahre Vorsitzender der Universitätenkonferenz (uniko).
Michael Peneder ist Ökonom und seit 1992 im WIFO-Forschungsbereich ›Industrieökonomie, Innovation und Internationaler Wettbewerb‹ tätig. Seine Forschungstätigkeit führte ihn u. a. an die internationalen Universitäten Harvard und Stanford. Peneders Forschungsergebnisse werden regelmäßig in Fachzeitschriften veröffentlicht.