Die Produktivitätsentwicklung in Österreich lahmt
Jan Kluge, 14.03.2024
Österreich sandelt ab. Wie oft wurde dieser Satz wohl schon ausgesprochen? So richtig abgesandelt ist man dann nie. Doch vielleicht ist das Gefährliche am Absandeln gerade die Tatsache, dass es so schleichend passiert. Gerade gehörte man noch zu den führenden Industrieländern der Erde. Und nur zwei oder drei verpasste Strukturreformen später findet man sich auf Platz 24 des IMD World Competitiveness Rankings wieder. Das ist gerade noch die obere Hälfte der Tabelle; es werden nur 64 Länder betrachtet. China ist längst vorbeigezogen. Nun klopft auch Osteuropa kräftig an. Besonders schlecht sehen wir dort aus, wo es um die Qualität der Institutionen und der Verwaltung geht. Bei der Steuerpolitik, die vor allem die Abgabenbelastung als Kriterium heranzieht, landen wir auf einem unglaublichen (und zugleich sehr wohl glaublichen) 62. Platz.
Nun kann man den Informationsgehalt solcher Indizes natürlich in Zweifel ziehen. Doch vielleicht ist auch gerade das Teil der Misere, dass wir hierzulande das Benchmarking mit Ländern scheuen, in denen die Dinge besser laufen. Man könnte sich ja die Dänen hernehmen, die seit zwei Jahren von Platz 1 grüßen, und schauen, was die so machen. Stattdessen schauen wir nach unten und sagen: Passt eh.
Produktivität ist auf lange Sicht (fast) alles
Doch entfernen wir uns von den Rankings und schauen ein paar echte Zahlen an. Entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft ist die Arbeitsproduktivität. Der Nobelpreisträger Paul Krugman sagte einst: „Produktivität ist nicht alles, aber auf lange Sicht ist sie fast alles.“ Und er fährt fort: „Die Fähigkeit eines Landes, seinen Lebensstandard über die Zeit zu verbessern, hängt fast vollständig von seiner Fähigkeit ab, den Output pro Beschäftigten zu erhöhen.“
Doch leider sind wir in diesem Punkt nicht mehr gut aufgestellt. Natürlich müssen wir uns nicht mit den osteuropäischen Ländern vergleichen, die – von einem niedrigen Niveau kommend – schnell aufholen und gigantische Wachstumsraten aufweisen. Man kann auch die Iren außen vor lassen, deren Wachstumszahlen selbst die eigene Zentralbank nicht mehr so recht glaubt. Aber mit dem Rest des „alten“ Europas sollten wir nach Möglichkeit schon Schritt halten.
Abbildung I zeigt, dass wir in der Tat gar nicht so schlecht abschneiden, wenn wir den Output pro Arbeitsstunde betrachten. Seit dem Jahr 2000 ist die so gerechnete Arbeitsproduktivität in Österreich um rund 24 Prozent gestiegen. Damit liegen wir halbwegs im Mittelfeld der relevanten Vergleichsgruppe. Seit der Finanzkrise hat das Produktivitätswachstum aber nur noch acht Prozent betragen. Andere Länder hatten zwar ähnliche Schwierigkeiten; trotzdem sind wir auch im Ländervergleich noch weiter abgerutscht. Seit Corona stagniert die Arbeitsproduktivität endgültig.
Doch was würde selbst die höchste Stundenproduktivität am Ende nützen, wenn wir immer weniger Stunden arbeiten? In der Betrachtung je Erwerbstätigen schneiden wir schockierend schlecht ab (Abbildung II). Seit der Finanzkrise ist die Wachstumsrate sogar negativ. Nur drei Länder sind hier noch schlechter als wir. Der einfache Grund: Teilzeit. Die Zahl der Vollzeitstellen in Österreich ist seit vielen Jahren konstant. Gestiegen ist nur die Zahl der Teilzeitstellen. Im EU-Vergleich stehen wir bei der Teilzeitquote fast an der Spitze. Dass das Phänomen nur Frauen mit Betreuungspflichten betrifft, stimmt nur zum Teil; auch bei kinderlosen Frauen und Männern liegt Teilzeit im Trend.
Was heißt das?
Erinnern Sie sich an die letzten Lohnverhandlungen? Die Gewerkschaften beriefen sich auf die seit Jahrzehnten gebräuchliche Benya-Formel: Die Lohnsteigerungen sollen die rollierende Inflation und die Produktivitätszuwächse abdecken. Nun haben wir aber gerade gesehen, dass die Arbeitsproduktivität seit Jahren nicht so richtig vom Fleck kommt. Nun gibt es zwei Möglichkeiten: 1.) Die Löhne orientieren sich nur noch an der Inflation; die Reallöhne bleiben im Wesentlichen, wo sie sind. Dann würde Krugman gelten: Steigt die Produktivität nicht, dann steigt auch der Lebensstandard der Menschen nicht mehr. Oder, 2.) die Löhne steigen trotzdem und schlagen sich im Preis der Endprodukte nieder. Dann steigen die Lohnstückkosten. Weil dabei die nominale Entwicklung zählt – schließlich ist es potenziellen Käufern aus den USA egal, wie es in Österreich um Inflation und Kaufkraft bestellt ist – werden sich heimische Güter deutlich schlechter am Markt unterbringen lassen. Die Europäische Kommission prognostiziert uns bis 2025 auch wegen der hohen Lohnabschlüsse die höchsten Lohnstückkostenzuwächse in Westeuropa seit 2019. Ökonomen haben davor lange gewarnt; gehört wurden sie aber nicht.
Was ist zu tun?
Die erste Handlungsempfehlung liegt auf der Hand: Wir müssen wieder mehr arbeiten. Das ist in Österreich derzeit nicht attraktiv genug. Die steuerliche Belastung des Faktors Arbeit ist weiter hoch. Regierungen haben in den letzten Jahren vor allem die unteren Einkommen steuerlich entlastet und dafür gesorgt, dass sich ein Aufstocken von Teil- auf Vollzeit in kaum einem Land weniger lohnt als in Österreich. Wer seine Wochenarbeitszeit von 20 auf 40 Stunden verdoppelt, hat am Ende trotzdem nur 60 Prozent mehr netto in der Tasche. Dazu kommt die Teilzeitfalle, die es attraktiv macht, Sozialleistungen zu beziehen und nebenbei geringfügig zu arbeiten. Vor allem Geringverdiener bräuchten schon fast einen Vollzeitjob, um sich überhaupt besser zu stellen als mit Sozialleistungsbezug.
Doch es gibt noch mehr zu tun. Menschen werden pro Stunde nicht produktiver, weil sie schneller, härter oder besser arbeiten. Sie werden es vor allem, wenn sie im richtigen Umfeld arbeiten. Und hier haben wir viel verschlafen. Die dynamischen Wachstumsbranchen fehlen; statt sie anzulocken, war es Regierungen in den letzten Jahren wichtiger, das Bestehende zu erhalten und mit Subventionen über die verschiedenen Krisen zu tragen. Wichtiger wäre es gewesen, die Abgabenlast zu senken und die Bürokratie abzubauen. In Österreich ist man über sieben Monate lang mit Papierkram beschäftigt, um eine einfache Lagerhalle zu errichten. Auch im Bereich der Digitalisierung sind wir nicht satisfaktionsfähig. Die Leistungsfähigkeit der Breitbandinfrastruktur entspricht in etwa der Russlands.
Russland ist auch das Stichwort für die Probleme im Energiesektor. Die Industriestrompreise liegen derzeit in Österreich bei deutlich über 20 Cent pro Kilowattstunde; US-amerikanische und chinesische Konkurrenten zahlen nur einen Bruchteil. Die Energiewende ist also nicht nur das ökologische, sondern auch das ökonomische Gebot der Stunde.
Viel zu tun also für die nächste Bundesregierung. Ein „weiter so“ gibt es nicht.
Jan Kluge ist Ökonom und seit 2022 in der Agenda Austria für die Bereiche Wirtschaftsstandort, Klima sowie Digitalisierung zuständig. Seine vorherigen beruflichen Stationen: ifo Institut und IHS, wo er als Senior Researcher tätig war.