Die Rolle Österreichs am Wasserstoffmarkt
Jürgen Prumetz, 02.11.2021
Verfügt die Energiewirtschaft bereits heute über eine Reihe von Antworten, müssen in anderen Bereichen mögliche Lösungen erst hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Tragfähigkeit erprobt werden. Neben Fragen im Zusammenhang mit der energetischen Versorgungssicherheit und der Mobilität (insbesondere im Bereich des Schwerlastverkehrs, Schiffsverkehrs oder Flugverkehrs) gilt es auch, Antworten auf die Emissionsbelastungen in der Bauwirtschaft, Agrarwirtschaft oder der Industrie zu finden. Emissionsfrei, zumindest aber emissionsarm erzeugter Wasserstoff (mehr zum Thema Wasserstoff und den damit verbundenen Potenzialen lesen Sie im Beitrag von Wolfgang Anzengruber), kann dabei eine zentrale Rolle einnehmen.
Die Möglichkeiten, mittels nachhaltig erzeugtem Wasserstoff einen Beitrag zur Emissionsreduktion in der Industrie zu erbringen, macht Wasserstoff zu einem strategischen Rohstoff. Nur dann, wenn die Industrie zu vertretbaren Kosten auf CO2 freien/armen Wasserstoff zugreifen kann, können Industriestandorte in einem klimafreundlichen Wirtschaftsumfeld langfristig abgesichert werden. Dabei bewegt sich die Erzeugung von nachhaltigem Wasserstoff in einem Spannungsfeld zwischen Kostenreduktion, Emissionsvermeidung und Reduktion der Abhängigkeit von wenigen Erzeugernationen, aber auch der derzeit kaum beachteten Vermeidung von Eingriffen in die Biodiversität.
Wasserstoffstrategien im Ländervergleich
Die strategische Relevanz erfordert eine vorausschauende, unternehmens- und regionenübergreifende industriepolitische Positionierung. In Abhängigkeit ihrer Stärken und Schwächen haben die verschiedenen Industrienationen Wasserstoffstrategien ausgearbeitet und festgelegt, ob sie sich als Import- oder Exportnation, sowie als Nationen mit Fokus auf grünen und/oder blauen bzw. türkisen Wasserstoff positionieren möchten.
Deutschland
- langfristig Fokus auf grünen Wasserstoff
- mehr als 1 Milliarde Euro als finanzielle Unterstützung für die Dekarbonisierung (Fokus auf Stahlerzeugung, Chemie, Transport und Wärmeindustrie)
- weitere Finanzmittel für die Skalierung der Technologie (7 Milliarden Euro)
- Partnerschaften mit Erzeugernationen (Nordafrika, Arabische Halbinsel aber auch dem Baltikum, der Nordsee und Südeuropa)
Frankreich
- 1 Milliarde Euro als finanzielle Unterstützung für die Dekarbonisierung
- Errichtung von Elektrolyseuren unter Berücksichtigung von violettem Wasserstoff
- Fokus in der Dekarbonisierung durch Wasserstoff auf Mobilität (Schwerverkehr), Raffinerien und Chemie
- Fokus auf inländische Erzeugung
Niederlande
- Fokus auf Mobilität und Dekarbonisierung der Industrie durch Wasserstoff sowie Wärmeindustrie
- Nutzung von Kapazitäten für grünen und blauen Wasserstoff
- Stärkung der Importkapazitäten und Positionierung als Energie Hub für den Import von Wasserstoff
- Stärkung der Infrastruktur mit der Möglichkeit bestehende Infrastruktur zu nutzen
- Schaffung eines Zertifizierungssystems
Spanien
- Fokus auf Dekarbonisierung (insbesondere Temperatur intensive Produktionsprozesse), Schwerverkehr, Schifffahrt, Zugverkehr und Flugverkehr, aber auch Nutzung von Wasserstoff als Energiespeicher
- Schaffung eines EU-weiten Marktes für Wasserstoff unter Schaffung eines einheitlichen Zertifizierungssystems
Großbritannien
- Fokus auf Dekarbonisierung der Industrie und Wärmeindustrie
- Nutzung von Kapazitäten für grünen und blauen Wasserstoff
- Errichtung eines GBP 240mln Net Zero Hydrogen Fund
Norwegen
- Evaluierung der Umstellung des Schiffsverkehrs auf Wasserstoff
- Nutzung von Kapazitäten für grünen und blauen Wasserstoff (unter Berücksichtigung der Speicherkapazitäten für CO2 in der Nordsee)
- Incentivierung der Dekarbonisierung durch Wasserstoff durch stufenweise Erhöhung der CO2 Steuer (+5 Prozent jährlich bis 2025)
Die Rolle Österreichs in der Wasserstoffwirtschaft
Welche Rolle kann Österreich in einer Wasserstoffwirtschaft einnehmen? Vor allem auch vor dem Hintergrund, dass die (theoretisch) verfügbaren, erneuerbaren Erzeugungskapazitäten in Österreich bevorzugt für die Abdeckung des allgemeinen Energiebedarfes erforderlich sind.
Österreich liegt am Schnittpunkt der Gasverbindung zwischen Ost und West und Nord und Süd. Mit der Central European Gas Hub AG („CEGH“) verfügt Österreich über den führenden Hub für Gashandel in Zentral- und Osteuropa. Die Eigentümer der CEGH sind neben der OMV (65 Prozent) die Wiener Börse (20 Prozent) und Eustream (15 Prozent).
Geht man davon aus, dass für die Erzeugung von 1 Tonne Stahl etwa 50 Kilo Wasserstoff notwendig werden und die Erzeugung von einem Kilogramm Wasserstoff den Einsatz von 50-55 kWh Energie erfordert, bedeutet dies etwa für die 42 Megatonnen Stahl, die derzeit in Deutschland erzeugt werden, rund 100 Terawattstunden an erneuerbaren Strombedarf, oder eine Steigerung von 20 Prozent zusätzlicher Erzeugungskapazitäten (Briefing Paper für das Europäische Parlament – The potential of hydrogen for decarbonising steel production). Wenn man diese Logik auf die 1,6 Millionen Tonnen, die nur die Voest Stahl Donawitz produziert, anwendet, müsste man die erneuerbare Erzeugung Österreichs um nahezu 9 Prozent anheben. Damit wäre nur ein geringer Teil des inländischen Wasserstoffbedarfs abgedeckt (ANM: für das Geschäftsjahr 2020/21 berichtet die Voestalpine Group rund 6,9 Millionen Tonnen Rohstahl auf der Konzernebene).
Darüber hinaus ergibt sich der Bedarf, Wasserstoff zu importieren auch aus der höheren Kostenstruktur einer Erzeugung von grünem Wasserstoff. Selbst unter Berücksichtigung der Kostendegression bis zum Ende dieses Jahrzehntes durch künftige Entwicklungen ist davon auszugehen, dass Wasserstoff, der mittels offshore Winderzeugung oder günstiger Solarenergie in sonnenreichen, europäischen Ländern erzeugt wird, um bis zu einem Viertel günstiger sein kann, als der durch klassischen Strombezug erzeugte grüne Wasserstoff. Da Transportkosten angesichts der erwarteten Mengen nur geringfügig ins Gewicht fallen, ist die mögliche Kosteneinsparung aus sonnenreichen nichteuropäischen Ländern noch höher.
Unberücksichtigt bleibt dabei allerdings eine etwaige Belastung der Biodiversität. Da sonnenreiche Länder in der Regel ihren Wasserbedarf über Entsalzung decken müssen, würde die Produktion von Wasserstoff zu einer weiteren Intensivierung der Wasserentnahme samt Entsalzung führen. In einer etwaigen nachhaltigen Wirtschaftlichkeitsevaluierung wird dies zu berücksichtigen sein und diese zugunsten von europäischen Ländern mit offshore oder wasserreicheren Ländern mit attraktivem Photovoltaik-Potential verschieben können.
Diese Abhängigkeit von Importlösungen für klimafreundlich erzeugten Wasserstoff erfordert die Schaffung eines attraktiven Rahmens, der es der österreichischen Gaswirtschaft ermöglicht, sich für den künftigen Transport und Handel von Wasserstoff zu positionieren. Gerade der Ausbau der bereits im Gashandel erfolgreich eingeführten Handelsplattform CEGH für eine künftige Wasserstoffwirtschaft, setzt aber auch eine gewisse Offenheit für die unterschiedlichen emissionsärmeren Erzeugungsmethoden von Wasserstoff voraus.
Ein Handel kann nur dann erfolgreich sein, wenn eine Plattform ausreichend Liquidität anbieten kann. Ob diese in ihren Anfängen aber nur mit grünem Wasserstoff erreicht werden kann, muss bezweifelt werden. Erzeugungskosten von grünem Wasserstoff werden nämlich auf das rund Vierfache wie für grauen Wasserstoff und um das rund 2,4-fache bis 2,7-fache des blauen Wasserstoffes geschätzt. Selbst wenn man die zu erwartende Kostendegression bis zum Ende des Jahrzehntes berücksichtigt, werden die Kosten für die Erzeugung von grünem Wasserstoff mittels Offshore Anlagen auf das ca. 2,4-fache bis 2,7-fache des blauen Wasserstoffes geschätzt. Angesichts dieser Überlegungen und im Lichte der oben erwähnten Kapazitätsengpässe und Biodiversitätsfragen wird man davon ausgehen müssen, dass die Dekarbonisierung der Industrie mittelfristig auch auf blauen sowie türkisen Wasserstoff zugreifen wird müssen. Dies würde sich vor allem in den Anfängen einer Wasserstoffhandelsplattform positiv auf die Liquidität auswirken. Mit fortschreitendem Einsatz von grünem Wasserstoff könnten grüner und sonstiger klimafreundlicher bzw. CO2 freier Wasserstoff getrennt gehandelt werden.
Um entsprechende Importlösungen zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten zu schaffen, erfordert es eine erfolgreiche Positionierung Österreichs und die Offenheit für die Nutzung bestehender Infrastruktur. Schließt man Möglichkeiten der Verblendung von Gasflüssen mit Wasserstoff aus, läuft man Gefahr, den Wettbewerb bei der Schaffung einer künftigen Wasserstoffinfrastruktur zu verlieren. Die von den Fernleitungsnetzbetreibern der Ukraine, Slowakei, Tschechien und Deutschland Ende September vorgestellte Initiative hinsichtlich der Errichtung einer mitteleuropäischen Gasinfrastruktur vorbei an Österreich, ist ein derartiges Risiko. Aufgrund der engen Verbindung zwischen Handel und Infrastruktur würde dies auch die langfristige Position des CEGH gefährden. Damit würde sich Österreich der Gefahr aussetzen, seine strategisch vorteilhafte Positionierung im zentral- und osteuropäischen Handel von Gas zu verlieren und im Handel von Wasserstoff nicht reüssieren zu können. Etwaige erforderlicher Wasserstoff könnte dann nur über weitere Umwege und damit zu allfällig höheren Transportkosten erworben werden.
Angesichts der strategischen Bedeutung von Wasserstoff, ist daher die Schaffung eines entsprechenden Rahmens erforderlich. Bestehende Ressourcen sind dabei ebenso zu berücksichtigen, wie die Einbeziehung von Vertretern der Erzeugungs-, der Logistik- und der Abnehmerseite sowie Partnerschaften mit der Wissenschaft und Vertretern der Regulierung. Nicht regionale, sondern bundesweite Lösungen schaffen die notwendige Voraussetzung für Skalierbarkeit.
Jürgen Prumetz betreut in der ÖBAG den Verbund und die OMV und verfügt über langjährige, sektorübergreifende Transaktions- und Finanzierungserfahrung. Vor seiner Zeit in der ÖBAG arbeitete Jürgen Prumetz knapp 14 Jahre in der Erste Group Bank AG, davon mehr als zwei Jahre als Leiter des Corporate Finance Teams in Polen. Zuletzt widmete er sich in einer Analyse dem Thema Kreislaufwirtschaft.