Interview mit ÖBAG-CEO Edith Hlawati
Michael Mauritz, 18.07.2023
Die wirtschaftspolitische Devise der letzten Jahre war „Mehr Staat, weniger privat“. Ist das gut?
Es gibt Momente, in denen die Bürger:innen vom Staat eine klare Führung erwarten. Das ist in Krisenzeiten der Fall und bei Investitionen in die Infrastruktur, die über Generationen ihre Wirkung entfalten sollen. Das hat sich in der Coronapandemie ebenso gezeigt wie seit dem russischen Angriff auf die Ukraine. Es gibt Aufgaben, die besser beim Staat aufgehoben sind, auch, weil das den Menschen Sicherheit und Zuversicht gibt. Es gibt aber auch Aufgaben, die besser von Privaten erledigt werden. Grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass der Staat Rahmenbedingungen schaffen soll, die es den Unternehmen ermöglichen, Arbeitsplätze zu schaffen und erfolgreich zu wirtschaften.
Was kann der Staat besser als ein Privater?
Der Staat kann es sich leisten, in Jahrzehnten zu denken und seine Entscheidungen an langfristigen Zielen auszurichten. Private können das nicht immer tun, weil der Druck der Eigentümer:innen manchmal auf finanzieller Maximierung liegt. Das ist der große „staatliche“ Vorteil. Auch Unternehmen mit Staatsbeteiligungen müssen profitabel sein, aber der Gewinn ist nur eine von mehreren Kennzahlen, die relevant sind. Die Kombination von privat und staatlich kann Vorteile bringen, weil sie zwei Welten miteinander verbindet. So wie das bei der ÖBAG der Fall ist.
Welche Faktoren sind noch relevant?
Wir haben eine klare Verantwortung für den Standort im Gesetz verankert. Für uns sind die Wertsteigerung der Unternehmen, der Ausbau und die Erhaltung der Wertschöpfung in Österreich relevant, ebenso wie die Stärkung des Standorts, die auch eine moderne Infrastruktur umfasst. Das ist für die Bürger:innen ebenso wichtig wie für die Unternehmen. Unsere Unternehmen versorgen das ganze Land mit digitaler Infrastruktur, sie stellen sicher, dass Investitionen die Kapazitäten der Stromnetze erweitern. Sie garantieren, dass auch die Bevölkerung am Land regelmäßig Briefe und Pakete zugestellt bekommt, und sie tragen dazu bei, dass die Gasversorgung stabil bleibt.
Das könnten auch Ministerien in einer Arbeitsgruppe ausarbeiten.
Natürlich wäre das möglich, aber die Investitionen in diesen Bereichen bewegen sich in Milliardenhöhe, und dafür braucht man auch Zugang zu privatem Kapital. Deshalb sind viele unserer Beteiligungen auch börsennotiert – damit diese Summen aufgebracht werden können. In den Ministerien ist enorm viel Wissen vorhanden. Es gibt aber manche Themen, wie beispielsweise die Gasversorgung, die auch einen externen Blick erfordern.
Welche Rolle spielt die ÖBAG dabei?
Wir vertreten in den Unternehmen die Interessen der Republik und somit der Bürger:innen. Und gegenüber dem Finanzminister vertreten wir die Interessen der Unternehmen, die frei von politischen Interventionen arbeiten können müssen. Wir verstehen, wie Kapitalmärkte funktionieren und welche Erwartungen der Staat an jene Unternehmen hat, an denen er beteiligt ist. Die ÖBAG stellt hier einen Interessenausgleich her, der langfristig für alle die besten Ergebnisse bringt. Wir nennen das den „Patient Capital“-Ansatz.
Was bringt ein „Patient Capital“-Ansatz, wenn in einer Krise kurzfristig Handlungsbedarf besteht?
Viel. Er ermöglicht, besonnene Entscheidungen zu treffen und den Bürger:innen zu zeigen, dass es sinnvoll ist, den Staat als Eigentümer bei wesentlichen Unternehmen zu haben. Er schützt aber auch vor Entscheidungen, die kurzfristig orientiert sind, aber langfristig Schaden anrichten können. Die Unternehmen und wir sind in solchen Situationen handlungsfähig und können Entscheidungen mittragen, die ein rein privates Unternehmen – weil es die Verantwortung für die Gesellschaft anders sieht – vielleicht so nicht treffen würde.
Was waren 2022 die größten Herausforderungen?
Einerseits, nach den Turbulenzen Ruhe in die ÖBAG zu bringen, und andererseits, die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine und die anschließenden Verwerfungen auf den Energiemärkten und die Lieferkettenproblematik zu managen.
Welche Rolle spielte die ÖBAG in diesen Situationen?
Wir haben hier eine wichtige Rolle zwischen unseren Portfoliounternehmen, der Politik und den privaten Aktionär:innen. Es geht dabei darum, das Interesse der Republik zu sichern, den Wirtschaftsstandort attraktiv zu halten und die Unternehmen so zu unterstützen, dass ihr Marktwert und die Dividende steigen.
Bei der Telekom Austria wurde eine Spaltung der Mobilfunktürme beschlossen. Warum?
Die Mobilfunktürme können in einer eigenen Gesellschaft fokussiert bewirtschaftet werden, indem sich zum Beispiel andere Mobilfunkbetreiber einmieten. Das zeigen internationale Beispiele. Wir erwarten uns davon eine langfristige Wertsteigerung bei unveränderter Eigentümerstruktur. Das ist ein sinnvolles Vorhaben, auch weil wir gleichzeitig unsere Partnerschaft mit América Móvil um zehn Jahre verlängern konnten. Hier stimmt das Gesamtpaket: Wir behalten die Kontrolle und ermöglichen eine Wertsteigerung bei einem Beteiligungsunternehmen.
Bleibt neben dem Tagesgeschäft noch Zeit für andere Projekte?
Das Tagesgeschäft war stark von den verschiedenen Krisen geprägt. Die Arbeit mit den Unternehmen passiert in erster Linie über unsere Mandate in den Aufsichtsräten, das nimmt natürlich schon viel Zeit in Anspruch. Dennoch haben wir auch bei einigen strategischen Projekten große Fortschritte gemacht, insbesondere in den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz, Governance oder auch bei Frauenförderung und Diversität.
Was kann die ÖBAG da beitragen, liegt das nicht ohnehin bei den Unternehmen?
Es ist richtig, dass es für jedes Unternehmen unterschiedliche Parameter in diesen Bereichen gibt. Dennoch gibt es gemeinsame Standards und Ziele, und diese werden von uns in enger Abstimmung mit den Unternehmen definiert. Die Kernfragen, die wir uns stellen, sind: Was können wir tun, um klimaneutral zu werden? Wie garantieren wir, dass Personal- und Managemententscheidungen nach internationalen Standards getroffen werden? Welche Maßnahmen braucht es, um Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten zu fördern?
Passiert das nicht ohnehin freiwillig?
Ja. Das sind Themen, die auf der Hand liegen. Aber trotzdem braucht es hin und wieder einen Anstoß. So haben wir vor drei Jahren zum Beispiel ein ESG-Monitoring-System aufgesetzt, da beobachten wir neben den CO2-Emissionen auch industriespezifische Abgase wie Methan oder Stickoxide. Denn wenn wir die Fakten kennen, können wir Handlungsoptionen aufzeigen.
Wie sieht das bei den Personalentscheidungen und Nominierungen aus?
Wir arbeiten ständig an der Weiterentwicklung, um die besten Leute mit den richtigen Qualifikationen in die Unternehmen zu holen. Das beginnt bei der rechtzeitigen Nachfolgeplanung, geht über die Definition der Kompetenzkriterien und endet bei internationalen Suchprozessen. Unsere Unternehmen sind sowohl in den Vorständen als auch in den Aufsichtsräten sehr gut besetzt – und das spiegelt sich auch in der Performance der Unternehmen wider.
Welche Schwerpunkte sehen Sie im Jahr 2023?
Wir werden heuer noch nicht aus dem Krisenmodus herauskommen. Der Krieg in Europa hält an, das makroökonomische Umfeld ist unsicher und die Inflation beschäftigt die Bürger:innen. Die Frage der Energieversorgung steht ganz oben auf unserer Prioritätenliste. Das Thema Klimaveränderung und die Auswirkungen ebenso. Dazu gilt es, die Spaltung der Mobilfunktürme vorzubereiten und diese dann in der 2. Jahreshälfte 2023 an die Börse zu bringen. Wir arbeiten diese Aufgaben konsequent ab.
Welche finanziellen Ergebnisse erwarten Sie für das Jahr 2023?
Eine Zahl kann ich Ihnen zu Ihrer Frage nicht geben. Aber wir haben einen klaren gesetzlichen Auftrag. Unser Ziel ist es, langfristig stabile oder leicht steigende Dividenden auszuschütten. Gleichzeitig wollen wir den Wert unseres Portfolios stetig steigern, aktuell steht dieser Wert bei rund EUR 31 Mrd. Die ÖBAG-Beteiligungen können inklusive VERBUND und der gezahlten Sonderdividenden für das Jahr 2022 eine Dividende in der Höhe von EUR 1,6 Mrd. ausschütten. Dieses Geld steht der Republik zur Verfügung, um die vielfältigen Aufgaben des Staates in unterschiedlichen Bereichen zu finanzieren.
Editorischer Hinweis: Das Interview wurde im Rahmen der Erstellung des ÖBAG Berichts über Geschäft und Nachhaltigkeit 2022 geführt. Mehr Informationen über die ÖBAG, ihre Strategie, das Führungsteam und die Portfoliounternehmen lesen Sie hier.
Edith Hlawati ist seit Februar 2022 Vorstand der ÖBAG.
Sie ist eine erfahrene Wirtschaftsanwältin mit den Schwerpunkten Aktienrecht, Kapitalmarkt, M&A sowie Governance.