Lieferketten: Resilienz durch Regionalisierung?
Jürgen Prumetz, 7.11.2022
Editorischer Hinweis: Am 19. Oktober wurde von Jürgen Prumetz unter dem Titel „Krisensichere Lieferketten“ ein Artikel zum Thema Diversifizierung von Lieferketten durch Innovation veröffentlicht. In der Analyse erörtert der Autor die Vor- und Nachteile des Aufbaus von Lagerkapazitäten in der Lieferkette.
Regionalisierung der Lieferkette
Führt die Erkenntnis über unterschiedliche Abhängigkeiten in den Lieferketten der europäischen Industrie im 21. Jahrhundert zur De-Globalisierung des internationalen Wirtschaftssystems? Dies muss bezweifelt werden. Sicher mag es eine zielführende Strategie sein, die Produktion aus Ländern wie China wieder näher an ihre Absatzmärkte heranzuführen. Automatisierte Produktionsprozesse einer Industrie der vierten Generation könnten dies in manchen Sektoren ermöglichen. Denn: nicht mehr die Reduktion der Personalkosten steht im Vordergrund, sondern vielmehr stabile Daten- und verlässliche Stromnetze sowie niedrige Logistikkosten. Strengere Rahmenbedingungen für eine nachhaltige Lieferkette, gestiegene Erwartungen an faire Arbeitsbedingungen und die Berücksichtigung aufgewendeter Emissionen im Rahmen der gesamten Lieferkette, könnten Re-shoring Bestrebungen langfristig unterstützen. Durch den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Entwicklung innovativer Speichermethoden könnten mittelfristig die aktuell hohen Energiekosten wieder auf ein vertretbares Niveau zurückgehen und damit die Regionalisierung der Lieferketten fördern. Allerdings löst die Regionalisierung der Erzeugung nur einen Teil des Abhängigkeitsproblems. Zum einen spielt für die kostenadäquate Fertigung Skalierbarkeit eine bestimmende Rolle, zum anderen ist der Aufbau einer effizienten, modernen Produktion CAPEX intensiv und bedarf entsprechender Vorlaufzeiten.
Die Endfertigung moderner Erzeugnisse ist letztlich nichts anderes als die Zusammenführung einer Reihe von Zwischenprodukten, die sich oft wieder aus weiteren, in unterschiedlichen Regionen hergestellten, Komponenten zusammensetzen. Die dafür notwendigen Produktionsanlagen bestehen wiederum aus Produkten, die sich aus einer Reihe von Einzelkomponenten zusammensetzen, die teilweise nur von wenigen Herstellern erzeugt und geliefert werden. Auch der dafür erforderliche Zugang zu notwendigen Rohstoffen, die – wie insbesondere im Falle von elektronischen Komponenten – nicht selten in ganz wenigen Regionen dieser Erde gefördert und weiterverarbeitet werden, muss gewährleistet sein. Re-shoring der Fertigung ist letztlich nichts anderes als die Verschiebung der Abhängigkeit auf die jeweiligen vorgelagerten Produkte. Dennoch kann die Regionalisierung der industriellen Fertigung in bestimmten Situationen eine sinnvolle Antwort für nachhaltige Lieferketten sein. Dies umso mehr, wenn man Nachhaltigkeit in der Produktion entlang der gesamten Lieferkette gewährleisten möchte.
Exkurs: Von einer linearen Wirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft
Der effizienteste Weg, die Widerstandsfähigkeit der heimischen Industrie zu stärken, ist die Reduktion der Abhängigkeiten von bestimmten Ressourcen. Dabei gilt es nicht nur die Lebensdauer einzelner Komponenten zu verlängern, sondern Wege zu entwickeln, die verwendeten Rohstoffe wiederzuverwerten.
Um ein derartiges Recycling ressourcenschonend zu ermöglichen, bedarf es skalierbarer Lösungen. So arbeitet etwa die OMV an technischen Möglichkeiten, die Wiederverwertung von Plastik ökonomisch attraktiv zu gestalten. Notwendig dafür ist jedoch ein „Eco-System“, das den gesamten Kreislauf abdeckt – vom Produktdesign über das Sammeln bis hin zur Wiederverwertung. Neben einer Wiederverwertungs-fördernden Logistik gilt es, kreislaufwirtschaftsorientierte Geschäftsmodelle für Investoren zu attraktiveren.
Weitblickender Zugang zu essenziellen Rohstoffen am Beispiel Wasserstoff
Nicht alle Rohstoffe können durch ihre Wiederverwertung in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden. So muss beispielsweise Gas kontinuierlich gefördert und beschafft werden. Gerade dieser Rohstoff macht aktuell die Problematik des Zugangs zu Ressourcen deutlich. Obwohl Österreich über keine Gasvorkommen verfügt, hat sich hierzulande eine Industrie mit hoher Gasintensität entwickelt. Schmerzhaft ist, dass dieses Risiko bereits vor Jahrzehnten erkannt und in Österreich etwa im Rahmen des Projektes Nabucco proaktiv aufgegriffen wurde. Nabucco wurde vor allem auch von der OMV vorangetrieben und bezweckte die Schaffung einer alternativen Infrastruktur zur Diversifizierung der Gasversorgung. Mangelnder politischer Wille, geostrategischer Druck und fehlende Vorausschau im Umgang mit wichtigen Partnerländern haben dieses, für die Energiesicherheit so zentrale Projekt im Jahr 2013 zum Erliegen gebracht.
Daraus ergeben sich zwei zentrale Lehren für eine resiliente Industriestruktur:
- Fokussierung auf Transformation anstatt Strukturerhalt. (Dies ist unabhängig von der Frage resilienter Lieferketten zu betrachten und daher letztlich einer eigenen Diskussion zugänglich.)
- Strategische Absicherung des Zugangs zu wesentlichen Rohstoffen – eingebettet in eine gesamteuropäische Industriestrategie.
Gerade der Umstand, wonach resiliente Lieferketten auch regionalisierte Produktionsprozesse notwendig machen, erzwingt überregionale, europaweite Lösungen dahingehend, wie (i) essenzielle Rohstoffe verlässlich, zu wirtschaftlich vertretbaren Kosten möglichst diversifiziert zu beschaffen sind. Auch gilt es (ii) kritische Rohstoffe und unvertretbare Abhängigkeiten weitestgehend zu vermeiden und (iii) nachhaltige Produktionsprozesse zu ermöglichen. Voraussetzung dafür ist, dass derzeitige makroökonomische Herausforderungen nicht durch strukturerhaltende Maßnahmen beantwortet werden, sondern Industriepartner mit transformativen Unterstützungsmaßnahmen in ein neues Zeitalter begleitet werden. Regulatorische Maßnahmen für die Energiewende wären dafür jedenfalls noch zu schaffen, auch wenn das künftige Importabhängigkeiten bedeutet. Diese erfordern jedenfalls eine frühzeitige Auseinandersetzung mit der Versorgungssicherheit, wie im Folgenden das Beispiel Wasserstoff zeigt.
Der für die Energietransformation notwendige Bedarf an Wasserstoff wird durch die heimische Erzeugung nicht abgedeckt werden können. Importmöglichkeiten sind zentral, dabei sollten Erzeugungsmärkte nachhaltig sein. Die Versorgung des Wirtschaftsstandortes mit CO₂ freien bzw. -armen Wasserstoff sollte zu vertretbaren Kosten ohne Gefährdung der Nachhaltigkeit sichergestellt werden. Eine nachhaltige Versorgung muss auch die langfristigen Auswirkungen von etwaigen Investitionen berücksichtigen. Denn, eine Wasserstoff-exportierende Wirtschaft in Ländern mit Wasserarmut ohne wesentlichen volkswirtschaftlichen Mehrwert für diese, erzwingt die Berücksichtigung sozialer Konsequenzen. Auch sollten die Auswirkungen der intensivierten Entsalzung und/oder der Wasserentnahme auf die Biodiversität in den betroffenen Regionen in der Beurteilung möglicher Erzeugungsmärkte nicht ignoriert werden. Mittelfristig wird sich dies auch nachteilig auf die derzeitigen finanzwirtschaftlichen Modelle auswirken, da künftig von einer Bepreisung der Biodiversität ausgegangen werden kann (i.e ein Preis für Wasser ähnlich wie bei CO₂).
Resilienz der Lieferkette ist mehr als nur ein Hype
Verzögerungen, enttäuschte Erwartungen, hohe Kosten und geringe Margen erzwingen die Auseinandersetzung mit modernen, widerstandsfähigen Lieferketten. Durch die Erkenntnis der Zerbrechlichkeit moderner Lieferketten wurde zwar nicht das Ende der Globalisierung eingeleitet, vielmehr eröffnen sich neue Chancen für den europäischen Wirtschaftsstandort.
Um diese Potenziale zu nutzen, ist es erforderlich, Abhängigkeiten zu erkennen, mögliche Lösungsmodelle zu erarbeiten und notwendige Rahmenbedingungen zu schaffen. Die unterschiedlichen Lösungsmodelle, inklusive einer Wiederansiedlung von Produktionsprozessen sind dort voranzutreiben (und durch regulatorische Maßnahmen zu unterstützen), wo dies für den europäischen Wirtschaftsstandort sinnvoll und möglich ist. Wenn die Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Lieferketten auch überregionale, europäische Lösungen erfordern, können auch die einzelnen Nationalstaaten ihren Beitrag zur Stärkung des heimischen Wirtschaftsstandortes leisten. Diese Unterstützung reduziert sich nicht auf legistische und steuerliche Maßnahmen, sondern kann auch die Bereitschaft zu Eigenkapitalmaßnahmen sowie Finanzinstrumenten umfassen.
Jürgen Prumetz betreut in der ÖBAG den Verbund und die OMV und verfügt über langjährige, sektorübergreifende Transaktions- und Finanzierungserfahrung. Vor seiner Zeit in der ÖBAG arbeitete Jürgen Prumetz knapp 14 Jahre in der Erste Group Bank AG, davon mehr als zwei Jahre als Leiter des Corporate Finance Teams in Polen. Zuletzt veröffentlichte Jürgen Prumetz den Artikel „Krisensichere Lieferketten“ und erörterte darin die Diversifizierung von Lieferketten durch Innovation. Weitere Artikel wurden zum Thema Wasserstoffwirtschaft in Österreich und Kreislaufwirtschaft publiziert.