ESG: Nachhaltigkeit als Überlebensstrategie
Thomas Riegler, 09.08.2021
Nachhaltigkeit wird nicht mehr als modischer Trend gesehen, sondern als Überlebensstrategie. In den Führungsetagen der Wirtschaft setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass wir die natürlichen Ressourcen und das Weltklima auch für kommende Generationen bewahren müssen. Es gibt kein „Innehalten“ oder „Zurück“, ohne von Gesellschaft, Konkurrenten, Investoren und Politik abgestraft zu werden.
Um eine nachhaltige Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft anzustoßen, haben Regierungsinstitutionen auf internationaler, vor allem europäischer und auf nationaler Ebene, zahlreiche Vorgaben und Kriterien angekündigt und zum Teil bereits beschlossen. Zu nennen sind u.a. die Beschlüsse von „Rio“ bis „Paris“, der „Green Deal“ der EU und die 17 Sustainable Development Goals (SDG) der Agenda 2030. Diese Verordnungen werden sukzessive die gesamte betriebs- und volkswirtschaftliche Wertschöpfung betreffen und zum Teil massive Folgen für Geschäftsmodelle und -prozesse haben.
Der Handlungsbedarf ist groß, jedoch lässt der Umsetzungsstand und Reifegrad der Transformation zu wünschen übrig. Eine europaweite Studie der Sustainable Growth Associates zeigt, dass nur 10 Prozent der Teilnehmenden in ihrer Branche die Nachhaltigkeitstransformation als echten „Paradigmen-Shift“ sehen und nutzen. 24 Prozent haben langfristige Nachhaltigkeitsziele als Teil ihrer Strategie festgelegt. Die Übrigen machen gerade so viel, wie die Gesetze vorschreiben, verpackt es in schöne Marketing-Kampagnen (sog. Greenwashing) oder sieht in der Nachhaltigkeit nur einen Kostenfaktor. Die Studie zeigt aber auch, dass die befragten Unternehmen den Druck zur Veränderung spüren und sozio-ökologische Nachhaltigkeit in den nächsten fünf bis sieben Jahren anstreben.
In Österreich gibt es bereits Umwelt-Pioniere in den diversen Industriebranchen, wie z.B. die Portfolio Unternehmen der ÖBAG, die sich alle an ESG-Zielen orientieren und deren Erfüllung Teil der Managementvergütungen ist.
Damit die erforderliche Transformation stattfindet, muss Nachhaltigkeit in das Wirtschaftssystem einfließen, den Zweck von Unternehmen prägen und deren Strategien und Geschäftsmodelle umfassend darauf ausgerichtet werden.
Wirtschaft und Geschäftsmodelle ganzheitlich systemisch denken
Zweifelsohne hat unser bisheriges wirtschaftliches Verhalten zu einer beeindruckenden Entwicklung der Lebensqualität unserer Gesellschaften geführt, jedoch auf Kosten unserer Umwelt und wesentlicher Teile der Gesellschaft. Das zeigen viele Untersuchungen und Studien (u.a. HDI, Planetary Boundaries).
Da wir offensichtlich „unsere Probleme nicht mit der gleichen Denkweise lösen können, mit der wir sie geschaffen haben“ (Albert Einstein), scheint eine andere Perspektive als Voraussetzung für die Vereinbarkeit von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt erforderlich.
Die Covid19-Pandemie, sowie Wetterextreme und Flutkatastrophen der jüngsten Zeit haben deutlich gezeigt, wie abhängig die Wirtschaft von einer gesunden Gesellschaft und einer intakten Umwelt ist. Die Umwelt kann ohne die Gesellschaft existieren, aber die Gesellschaft sicherlich nicht ohne die Umwelt.
Ganzheitlich systemisch sind die Beziehungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt besser als ‚eingebettete‘ oder ‚ineinander verschachtelte‘ Systeme zu verstehen, und nicht als koexistierende überlappenden Systeme.
Diese Sichtweise trägt auch dem Umstand Rechnung, dass beinahe alles, was wir täglich in unserer Arbeit und unserem Privatleben tun, Auswirkungen auf die natürliche Umwelt und die Gesellschaft hat, für die wir Mitverantwortung tragen. Sie zwingt Unternehmen, über die reine wirtschaftliche Wertschöpfung hinaus zu gehen und ein sozio-ökologisches Nachhaltigkeitsszenario zu entdecken, entwickeln und umzusetzen.
Mit dieser Art der ganzheitlichen Betrachtung öffnen sich viele Chancen für Kreativität und Innovation und es ergibt sich wieder eine Symbiose von Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft. Wie im Rahmen des ÖBAG Forum Nachhaltigkeit als Wertschöpfungsfaktor am 19. Juni 2021 diskutiert, kann so Nachhaltigkeit zum ‚Wachstumsbooster‘ werden und die Wirtschaft ankurbeln, bei gleichzeitiger Ausrichtung der Unternehmen in Richtung Nachhaltigkeit.
Ein einheitliches Verständnis von Nachhaltigkeit
Auf Basis dieser ganzheitlich systemischen Perspektive, können nun die Systembedingungen definiert werden, welche erfüllt sein müssen, um Erfolg in diesem Kontext zu haben. Genau damit hat sich die gemeinnützige Organisation ‚The Natural Step‘ seit 1989 beschäftigt, und in einem multidisziplinären wissenschaftlichen Review-Prozess eine prinzipienbasierte wissenschaftliche Definition von Nachhaltigkeit und eine Methode zu ihrer Operationalisierung entwickelt. Die daraufhin definierten Grundsätze für sozio-ökologische Nachhaltigkeit und das Rahmenwerk für strategische nachhaltige Unternehmensentwicklung (Framework for Strategic Sustainable Development FSSD) dienen Unternehmen als Leitplanken, innerhalb derer sie Lösungen entwickeln können, damit die Transformation gelingen kann. Gerne erfahren Sie mehr dazu in einem der nächsten Artikel in dieser Rubrik.
Wir müssen gemeinsam im Kollektiv handeln
Der Übergang zu einer nachhaltigen Gesellschaft ist offensichtlich ein komplexes Unterfangen, das eine umfassende koordinierte Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinaus, entlang der Wertschöpfungsketten erfordert. Dass dies möglich ist zeigt z.B. die Zusammenarbeit von OMV und Post zum Thema Wasserstoff.
Diese Anstrengungen können aber nicht nur alleine von den Unternehmen und der Industrie ausgehen. Es bedarf auch der passenden Rahmenbedingungen von Seiten des Staates und auch die Gesellschaft muss mitziehen. Aufgabe der Politik wiederum ist es, den Rahmen zu setzen und Anreize für sozio-ökologisches Wirtschaften zu schaffen. Regierungen müssen dafür sorgen, dass das Wirtschaftssystem in ein ordnungspolitisches Umfeld eingebettet ist, das neben Anreizen zur Umweltschonung (z.B. CO2-Reduktion) und zum Einsatz ökologischer Technologien auch wirtschaftliche Vorteile z.B. steuerliche Begünstigungen bietet.
Auf diese Art kann eine ‚versöhnliche‘ Symbiose aus Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft zum Wohle von allen entstehen.
Thomas Riegler ist Partner der taskforce – management on demand GmbH und hat die letzten 15 Jahre als Vorstand insbesondere Unternehmen durch Krisen und durch digitale und nachhaltige Transformationsprozesse geführt. Er ist Aufsichtsratsvorsitzender der Sustainable Growth Associates und Gründer der deutschen Vertretung der gemeinnützigen NGO The Natural Step.