Wiener Börse: Seit 250 Jahren die Zukunft im Blick
Julia Resch, 22.11.2021
Als eine der ältesten Börsen der Welt erlebte die Wiener Börse zahlreiche, bahnbrechende Veränderungen. Die Rahmenbedingungen, wie etwa Technik und Orte des Handelsgeschehens, haben sich stark weiterentwickelt. Am grundlegenden Auftrag der Börse hat sich jedoch im letzten Vierteljahrtausend wenig geändert: Als zentraler Marktplatz für die Preisfeststellung von Wertpapieren schafft sie Vertrauen, Transparenz und steht für Verlässlichkeit. Als Herz des österreichischen Kapitalmarkts und zentrale Infrastrukturanbieterin der Region schlägt sie die Brücke für Unternehmen zu den wichtigsten Finanzzentren der Welt. Investoren öffnet sie das Tor zur Wachstumsregion Zentral- und Osteuropa.
250 Jahre Expertise
Wien, 1771: Um den Spekulationen in Hinterzimmern und Kaffeehäusern entgegenzuwirken und um das nach Kriegsjahren verlorene Vertrauen in den Staatshaushalt der Habsburger zu stärken, erließ Kaiserin Maria Theresia ein Patent zur Eröffnung einer staatlichen Börse. Erste Bestrebungen dazu gab es bereits zehn Jahre zuvor. Der erste Handelstag fand schließlich am 2. September 1771 statt. Börsenhändler, damals Sensale genannt, und Kunden handelten vor Ort Anleihen, Wechsel sowie Devisen. Die Kurse wurden täglich ausgehängt, Frauen war der Zutritt damals untersagt. Geöffnet wurde täglich für drei Stunden, es gab Sommer- und Winteröffnungszeiten. Schon damals garantierte die Börse als zentraler Markt neben offizieller Kursfestsetzung auch Schnelligkeit und Sicherheit in der Geschäftsabwicklung. Eine eigene Kurzdokumentation widmet sich dieser historischen Entwicklung.
1818 war die Oesterreichische Nationalbank die erste Aktiengesellschaft, die an der Wiener Börse notierte. Einer der ersten Aktionäre war kein geringerer als Ludwig van Beethoven, der 1819 acht Aktien der Nationalbank erwarb. Mitte des 19. Jahrhunderts erlangte die Wiener Börse aufgrund der Bedeutung der Habsburger Monarchie wachsendes internationales Ansehen. Im Konjunkturaufschwung, der bis 1872 andauern sollte, sah die Wiener Börse zahlreiche Neunotierungen, vor allem von Bank-, Eisenbahn- und Industrieaktien. 1869 gingen die heutige PORR AG und Wienerberger AG an die Börse. Mit über 150-jähriger durchgehender Notierung sind es die ältesten Aktien an der Wiener Börse. 1877 wurde das historische Börsengebäude am Schottenring eingeweiht, in welchem die Börse ganze 121 Jahre bis 1998 hauste. Bis dato prägt die „Alte Börse“ das Bild der Wiener Ringstraße. Der heutige Firmensitz der Wiener Börse AG befindet sich seit der Jahrtausendwende in der Wallnerstraße 8 im „Palais Caprara-Geymüller“.
Börse und ÖBAG, eine gemeinsame Geschichte
Die gemeinsame Geschichte der börsennotierten ÖBAG-Portfoliounternehmen und der Wiener Börse beginnt mit den Privatisierungen der OMV AG (1987) und der Verbund AG (1988). Diese beiden Unternehmen sind seit Berechnungsstart des ATX im Jahr 1991 durchgehend im nationalen Börsenbarometer enthalten. In den 2000er Jahren folgen die Listings der Telekom Austria AG (2000) und der Österreichischen Post AG (2006). Alle Unternehmen zusammengenommen bringen dem österreichischen Steuerzahler heute jährlich stattliche Dividendenzahlungen in dreistelliger Millionenhöhe ÖBAG Hauptversammlung: Fortführung nachhaltiger Dividendenpolitik als Anker für Stabilität. Wertmäßig machen die ÖBAG-Beteiligungen rund ein Drittel des gesamten ATX aus.
Solide Dividendenpolitik, dafür ist der österreichische Aktienmarkt bei Investoren sehr beliebt. Die Hälfte der Rendite im ATX speist sich aus Dividendenausschüttungen. Inklusive Dividenden zeigt der ATX seit 1991 eine Gesamtperformance von über 650 Prozent, rund 6,5 Prozent jährlich. Im 250. Jubiläumsjahr der Wiener Börse durchbrach der österreichische Aktienmarkt wiederholt sein Allzeithoch. Einen großen Anteil daran hat die zyklische Zusammensetzung des Indizes. Wenn die Wirtschaft brummt, ist die Konstellation aus Finanztiteln und Industriewerten ein zusätzlicher Turbo, bei wirtschaftlichen Einbrüchen, wie beim Ausbruch der Covid-19 Pandemie im Vorjahr, ein Hemmschuh. Den langfristig orientierten Anleger kümmert das weniger. Er schätzt die österreichischen Unternehmen für ihre stabile Planung und Dividendenpolitik, vorbildliches Krisenmanagement sowie intensive Forschungsaktivitäten.
Die Wiener Börse AG ist heute ein moderner Infrastruktur-Anbieter. Dabei setzt sie auf modernste Systeme und Software. Neben Wien betreibt sie auch die Börse Prag. Notierte Unternehmen profitieren von maximaler Liquidität, Anleger von schnellem und günstigem Handel. Heute stammen rund 85 Prozent des Handelsvolumens von internationalen Handelsteilnehmern. Neben dem Hauptgeschäftsfeld des Wertpapierhandels- und Listings ist die Nationalbörse breit aufgestellt. Die Geschäftssäulen Marktdatenverteilung, Index-Berechnung, IT-Services und Zentralverwahrung von Wertpapieren zeigen den starken Technik- und Servicefokus.
The Next 250
2021 blickt die Wiener Börse optimistisch nach vorne: Wie entwickeln sich Wirtschaft und Gesellschaft in den kommenden Jahrzehnten? Wie finanzieren wir Innovation? Wie kann die Zukunft aktiv mitgestaltet werden? Dazu wurde ein eigenes „Future Forum“ eingerichtet, also eine Plattform, die Antworten auf diese großen und bewegenden Fragen bündelt. Yuval Harari, Didier Sornette und viele weitere nationale und internationale Experten, Vordenker und Wissenschaftler diskutieren dort über Innovation, Wandel und ihre Vision der Wirtschaft der Zukunft.
Wenn uns die Geschichte etwas gelehrt hat, dann, dass offene, verlässliche und transparente Märkte ein entscheidender Faktor für den Fortschritt sind. Wir befinden uns immer noch in einer globalen Pandemie. Gleichzeitig stehen wir vor großen Herausforderungen wie dem Klimawandel. Der Kapitalmarkt ist Teil der Lösung und wird das nötige Eigenkapital für Innovationen bereitstellen, damit auch die nächste Generation in Wohlstand leben kann. Die Börsen und ihre Handelsteilnehmer waren immer schon Vorreiter bei der Nutzung neuer Technologien. Wir werden unsere Expertise und unsere Tradition einsetzen und weiterhin die effizienteste und zuverlässigste Infrastruktur bereitstellen, um Unternehmen mit Anlegern weltweit zu verbinden.
Julia Resch leitet seit Februar 2017 die Abteilung „Corporate Communications & Marketing“ in der Wiener Börse. Als Studierende der internationalen Betriebswirtschaftslehre startete sie 2008 ihre berufliche Laufbahn in der Börse, wo sie mehrere Abteilungen durchlief.